Deutsches Heer - Zweites Deutsches Kaiserreich Eckhard Karlitzky Aufsätze und Aufsatz-Fragmente
Deutsches Heer - Zweites Deutsches KaiserreichEckhard KarlitzkyAufsätze und Aufsatz-Fragmente

Krieg 1914 Schlacht am Ourq

Rechter Heeresflügel 1. Armee 5. bis 9. September 1914

 

Vom 5. bis 14. September 1914 herrschte auf dem rechten Heeresflügel ein Chaos. Die 1. und die 2. Armee kämpften eine jede für sich um ihr Überleben. Bewusst wurde das ihren Oberkommandos erst vom 7. September an. Bei der 1. Armee konnte in der Schlacht der Korpsverband nicht aufrechterhalten werden; die Truppen wurden durcheinander gewürfelt. Das Oberkommando behalf sich damit, Kampfgruppen innerhalb der Armee zu bilden. Am 9. September wurde von jedem der beiden Armee-Oberkommandos ein Rückzugsbefehl gegeben, der einer Niederlage gleichkam. In der Rückschau sieht man den 9. September 1914 als den Kulminationspunkt des deutschen Angriffs. Wie kam es dazu und wer ist dafür verantwortlich?

 

1. Verfolgung des Gegners durch die 1. Armee nach Süden über die Marne hinweg

Die 1. Armee marschierte an der Ostseite von Paris vorbei rechts gestaffelt in südlicher Richtung.  Sie war der 2. Armee zu ihrer Linken voraus. Über ihren Vormarsch berichtete die 1. Armee der OHL mit Funksprüchen, die bei dieser am 4. und 5. September eingingen. Das Reichsarchiv schreibt darüber (Der Weltkrieg, Band 3, 1. Armee setzt am 3. September die Verfolgung über die Marne fort, Seite 238, 241, 249):

 

Ein erster Funkspruch, der etwa um 6.00 Uhr nachmittags eintraf, gab den Armeebefehl vom 3. September um 1.00 Uhr mittags wieder und lautete:

„1. Armee drängt mit linkem Flügel Franzosen zurück und überschreitet Marne bei Chateau Thierry und westlich, schiebt Mitte auf La Ferté sous Jouarre nach, deckt mit II. und IV. Reservekorps rechte Flanke Gegend Nanteuil. Bei Teilen des Feindes Zeichen von Auflösung, wird nach Kräften ausgenutzt.“

 

Ein zweiter Funkspruch, der nur wenig später, in der siebenten Abendstunde, einging, unterrichtete die OHL über den Verlauf des 3. September bei der 1. Armee und über die Absichten für den 4. September dahin, dass die 1. Armee mit der Mitte und dem linken Flügel den Vormarsch über Rebais – Montmirail fortsetzen werde. 

 

Ein dritter Funkspruch vom 4. September, der am 5. September bei der OHL einging, enthielt eine Begründung des Vorgehens der 1. Armee. Es hieß darin:

„… Beabsichtigte Abdrängung des Feindes von Paris in südwestlicher Richtung wird nur durch Vorgehen der 1. Armee durchführbar sein. Notwendiger Flankenschutz schwächt Offensivkraft. Baldige Verstärkung des rechten Flügels durch andere Teile (III. Reservekorps oder VII. Reservekorps) dringend erwünscht…“

 

Mit dem Befehl der OHL vom 2. September, wonach die 1. Armee die Flanke des Schwenkungsflügels zu sichern hatte, war die beabsichtigte Abdrängung des Feindes nicht vereinbar.

 

2 Auseinanderstreben der Armeekorps der 1. Armee

Die 1. Armee strebte in zwei Gruppen mit unterschiedlichem Auftrag ihres Ober-kommandos auseinander, wie sich aus den vorstehend aufgeführten Funksprüchen ergibt,  und überforderte damit ihre Kräfte. Sie geriet in einen Zwiespalt, aus dem ihr Unheil erwuchs.

 

- 2 -

 

7.2.1

Rechter Armeeflügel Sicherungsgruppe IV. Reservekorps nördlich der Marne, II. Armee-korps  südlich der Marne:

 

Die von der OHL am 2. September befohlene Flankensicherung nach Westen gegen Paris beschränkte das Armeeoberkommando auf nur zwei Korps. Das IV. sachsen-anhaltinische Reservekorps bildete den rechten Flügel der Armee und marschierte in rückwärtiger Linie. Das ihm benachbarte II. pommersche Armeekorps wahrte den Zusammenhang mit den anderen Armeekorps, indem es deren Vormarsch über die Marne begleitete.

 

Mit dieser Beschränkung der Flankensicherung auf zwei Korps ging das Oberkommando ein hohes Risiko ein.

 

Es glaubte nicht an einen Vernichtungsschlag des französischen Heeres in seine Flanke, sondern sah das Risiko eines französisch-britischen Flankenangriffs nur darin, dass dadurch der weitere Vormarsch der 1. Armee nach Süden gestört werden sollte. Auf einen Flankenangriff des Gegners war die Sicherungsgruppe    n i c h t    vorbereitet.

 

Ab dem 6. September entwickelte sich beim IV. Reservekorps westlich des Flusses Ourq eine Schlacht gegen die 6. französische Armee. Dazu  wurden bis zum 9. September nach und nach alle Armeekorps  herangezogen.

 

7.2.2

Armeemitte und linker Armeeflügel Verfolgungsgruppe südlich der Marne:

 

Das IV. sachsen-anhaltinische Armeekorps in der Mitte der Armee war bis zur Linie Amilis – Choisy vorgestoßen. Vom II. Armeekorps zu seiner Rechten war es durch die 2. und vom III. Armeekorps zu seiner Linken durch die 9. Kavalleriedivision getrennt. Am 6. September hatte es zurückzumarschieren und erhielt am Abend Befehle für ein Eingreifen in die Schlacht am Ourq.

 

Auf dem linken Flügel der 1. Armee marschierte das IX. norddeutsche Armeekorps. Sein Kommandierender General v. Quast hatte bereits am 3. September aus eigenem Antrieb bei Chateau Thierry die Marne überschritten und über Montmirail – das am Petit Morin liegt - die Ortschaft Esternay erreicht. Das Armee-Oberkommando meinte, dass dieses Armeekorps die besten Aussichten hatte, den zurückgehenden linken Flügel des französischen Heeres zu erreichen. Das benachbarte VII. westfälische Armeekorps der 2. Armee hing zurück und schien, so die Meinung des Oberkommandos, dazu nicht in der Lage.

 

Das IX. Armeekorps hatte sich bewusst vor das VII. Armeekorps zu seiner Linken geschoben und blockierte dadurch dessen weiteren Vormarsch. 

 

Das III. brandenburgische Armeekorps zur Rechten des IX. Armeekorps hatte Gelegenheit gefunden, noch weiter nach Süden vorzustoßen.

              

Am 6. September wurden die beiden Armeekorps in der Frühe des Tages durch einen Angriff des Gegners aus dem Süden in schwere Kämpfe verwickelt. Sie werden vom Reichsarchiv sachlich begründet, aber irreführenderweise in dem Kapitel

„Die Kämpfe der 2. Armee südlich der Marne“

 

- 3 -

 

abgehandelt, weil sie in einem Zusammenhang mit deren Kämpfen stehen (Reichs-archiv, Der Weltkrieg, Seiten 63, 69 und 80/81).

 

Die Flanken der beiden Armeekorps waren nicht gedeckt. Ihre Lage wurde unhaltbar. Am späten Abend des 6. September erhielten sie den Befehl zum Rückmarsch und am Mittag des 7. September den Befehl zum Eingreifen in die Schlacht am Ourq.

 

Damit gab es keine Verfolgungsgruppe mehr.

 

7.2.3

Das Reichsarchiv stellt fest (Der Weltkrieg, Band 3 Seite 307):

4. September

(Zitat)

„… (es) stand unter allen Umständen fest, dass (die 1. Armee) nicht nur dem Wortlaute, sondern auch dem Sinne des Befehls, der 2. Armee gestaffelt zu folgen, zuwiderhandelte. Mochte sie auch durch die Verfolgung über die Marne dazu beitragen, den Westflügel der Franzosen in der gewünschten Richtung von Paris abzudrängen, beschwor sie doch damit gleichzeitig für die rechte Heeresflanke jene gefahrdrohende Lage herauf, die der Chef des Generalstabs des Feldheeres bei Erlaß seines Befehls am Abend des 2. September ausdrücklich hatte vermeiden wollen.“

(Zitat Ende)

 

Die Folgen der Eigenmächtigkeit des Oberkommandos der 1. Armee wurden kriegsentscheidend. Dafür trägt es die Verantwortung.

 

 

7.3 Rückmarschbefehle und Beginn der Schlacht am Ourq

           

Am 5. September überkreuzten sich bei der 1. Armee zwei Entwicklungen.

 

Entwicklung eins Rückmarschbefehle:

 

Morgens um 7.15 Uhr erhielt die 1. Armee einen Funkspruch der OHL:

 

„Die 1. und 2. Armee verbleiben gegenüber der Ostfront von Paris, um feindlichen Unternehmungen aus Paris offensiv gegenüberzutreten. 1. Armee zwischen Oise und Marne… 2. Armee zwischen Marne und Seine... Die Marne-Übergänge von Chateau Thierry abwärts sind für einen Uferwechsel besetzt zu halten….“

                (Reichsarchiv, Der Weltkrieg, Band 4, Seite 25)

 

Der OHL ging es um die Flankensicherung gegen Paris. Ihr Befehl war offenbar entworfen worden, bevor sie von den vorstehend unter 7.1 aufgeführten Funksprüchen Kenntnis erhalten hatte. Sie hatte noch nichts davon gewusst, dass die 1. Armee sich bereits südöstlich von Paris befand, indem sie die Marne überschritten hatte.

 

Diese hatte nunmehr einen Rückmarsch über die Marne anzutreten.

 

Dazu entschloss sich das Oberkommando widerstrebend erst im Laufe des 5. September. Anstatt die Armeekorps sofort anzuhalten (was nach Aussage der Kommandierenden Generäle möglich gewesen wäre), liess es sie einstweilen weiter marschieren. Nur das IV. Reservekorps wurde um 10.00 Uhr vormittags angehalten. Die Befehle zum Rückmarsch wurden erst um 11.00 Uhr abends ausgegeben.

 

- 4 -

 

Der OHL wurde gemeldet, dass „die 1. Armee 6. September befohlenen Abmarsch zwischen Oise und Marne antrete. IV. Reservekorps und II. südwestlich Crouy, IV. La Ferté sous Jouarre, III. La Ferté Gaucher, IX. bleibt Joiselle, Armee-Hauptquartier Charly s. M.“ (Reichsarchiv, Der Weltkrieg, Band 4, Die Einleitung der Marneschlacht am 5. September Seite 30).

 

Diese Befehle führten den befohlenen Flankenschutz nicht herbei.  Das Oberkommando der 1. Armee glaubte Zeit zu haben. Die Flankenbedrohung wurde nicht ernst genommen.

 

Entwicklung zwei Beginn der Schlacht am Ourq:

 

Das IV. Reservekorps erhielt den Befehl zum Anhalten um 10.00 Uhr vormittags. Es befand sich westlich des Flusses Ourq etwa in dem Raum zwischen den Ortschaften Nanteuil-le-Haudouin und Meaux. Es sollte feindlichen Unternehmungen aus dem Raume Paris offensiv entgegentreten. Das Reservekorps hatte nur drei Viertel seiner Infanterie. Ihm fehlte die 43. Reserve-Infanterie-Brigade (sie gehörte zur 22. Reserve-Division), die es am 24. August in Brüssel hatte zurücklassen müssen. Die Brigade war am 30. August wieder zu ihrem Reservekorps in Marsch gesetzt worden, hatte es aber noch nicht erreicht. Das Reservekorps hatte nur die Hälfte der Artillerie eines aktiven (Friedens-)Korps. Seine Stärke betrug etwa die einer aktiven (Friedens-)Division.

 

Der Kommandierende General v. Gronau fühlte sich unbehaglich. Wo war der Feind? Er wusste es nicht.

 

Einen ernsthaften Feindkontakt hatte das Reservekorps in den letzten Tagen nicht gehabt. Die ihm zugewiesene 4. Kavalleriedivision war nicht über die auffallend starken französischen Vorposten hinausgekommen. Flugzeuge hatte das Reservekorps nicht. Ergebnisse einer Lufterkundung durch das II. Armeekorps oder das Armee-Ober-kommando lagen v. Gronau nicht vor. Dies zu veranlassen wäre die Aufgabe des Armee-Oberkommandos gewesen. Es zu unterlassen war unentschuldbarer Leichtsinn.

 

General v. Gronau entschloss sich zu einem Aufklärungsvorstoß nach Westen. Die beiden Reserve-Divisionen traten ihren Vormarsch um 12.00 Uhr mittags an. Die Vorhut der 7. Reserve-Division sichtete um 2.00 Uhr nachmittags französische Marsch-kolonnen und ging zum Angriff über. Die 22. Reserve-Division wurde zur Verstärkung herangezogen. Die französischen Einheiten stellten sich an Infanterie mindestens als gleichwertig, an Artillerie aber als deutlich überlegen heraus. Die Artillerie der 7. Reserve-Division erlitt schwere Verluste.

 

v. Gronau sah, dass sein Reservekorps in Gefahr war, auf beiden Flügeln umfasst zu werden, und entschloss sich dazu, seine Truppen zurückzunehmen. Das geschah in der Nacht zum 6. September. „Auf dem Schlachtfelde blieben nur die nicht transportfähigen Verwundeten mit dem notwendigen Pflegepersonal und einige gänzlich zerschossene Fahrzeuge zurück“ (Reichsarchiv, Der Weltkrieg, Band 4, Die Einleitung der Marneschlacht am 5. September, Seite 36).

 

Das Oberkommando der 1. Armee erhielt erst kurz vor Mitternacht des 5. September Kenntnis von den Kampfhandlungen des IV. Reservekorps. Überragende Bedeutung wurde ihnen nicht beigemessen. Das II. Armeekorps hatte sofortige Hilfe zu bringen. Sein Rückmarsch musste unverzüglich angetreten werden.

 

- 5 -

 

 

Ein Text! Sie können ihn mit Inhalt füllen, verschieben, kopieren oder löschen.

 

 

Unterhalten Sie Ihren Besucher! Machen Sie es einfach interessant und originell. Bringen Sie die Dinge auf den Punkt und seien Sie spannend.

Druckversion | Sitemap
© Eckhard Karlitzky