Die Denkschrift des Generalstabchefs v. Moltke vom 21.12.1912
Teil I und Anlage - Die Ankündigung der Niederlage -
(in Bearbeitung)
1) Einleitung: Gegenstand, Inhalt und Bedeutung der Denkschrift
Die Niederlage der Mittelmächte im 1. Weltkrieg war aus Vorkriegssicht zu erwarten. Sie ergab sich ohne weiteres aus den militärischen Kräfte-verhältnissen in Europa vor Kriegsbeginn. Aber wie waren diese einzu-schätzen?
Darüber waren verschiedene Auffassungen denkbar, und die Auffas-sungen des preußischen Kriegsministeriums und des deutschen Generalstabs gingen lange Zeit auseinander.
Man konnte eine rein formale Betrachtungsweise pflegen und die Kräfteverhältnisse der beiden Bündnissysteme
Dreibund - Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Italien - einerseits,
Triple-Entente - Frankreich,Russland, England - andererseits
einander gegenüberstellen.
Bei einer derartigen Betrachtungsweise bestand für die Mittel-mächte kein Anlaß zur Besorgnis. Darüber hinaus ging Franz Wandel, Direktor des Allgemeinen Kriegsdepartments (= II. Abteilung des preußischen Kriegsministeriums) noch bei der Einbringung der Heeresvorlage 1911 (für den Zeitraum vom 01.04.1911 bis 31.03.1916) davon aus, dass
wenn überhaupt
(Hervorhebung vom Aufsatzverfasser)
nur mit halbem Herzen an einem französisch-deutschen Kriege teilnehmen würde."
Im Hinblick auf die politischen Entwicklungen des Jahres 1911 schränkte Wandel diese Beurteilung ein, insbesondere hinsichtlich der Unter-stützung Frankreiches durch England und der von Italien zu erwartenden Unterstützung. Im Grundsatz hielt er den früheren Standpunkt noch für richtig.
Im geschichtlichen Rückblick ist also festzustellen, dass das preußische Kriegsministerium von Illusionen zugunsten des Deutschen Reiches ausging.
Dagegen erscheint General v. Schlieffen, Generalstabchef bis 31.12.1905, als der letzte Realist in den beiden militärischen Führungsämtern Generalstab und preußisches Kriegsministerium:
Was die Unterstützung durch die Verbündeten des Deutschen Reiches anging, so findet sich eine Randnotiz auf dem Entwurf eines Schreibens, das Schlieffens Stellvertreter in seiner Abwesenheit dem Kriegsminister übermittelt hatte:
"Auf das - Eingreifen unserer Bundesgenossen zu rechnen! Welche Illusion!
Was das Verhalten Englands anging, so schreibt der britische Militärhistoriker Liddell Hart über Schlieffen:
"It is proof of his clear sight, if not of his long sight, that he counted on the intervention of Britain, and allowed for an expeditionary force of 100,000 'operating in conjunction with the French'.
In diesem Aufsatz soll nun die Denkweise des Generals v. Moltke d.J. Generalstabchef von 1906 bis September 1914 dargelegt werden. Sie ergibt sich aus seiner
Denkschrift
über die militärpolitische Lage
und
die sich aus ihr ergebenden Forderungen
für weitere Ausgestaltung der Deutschen Wehrkraft
vom 21.12.1912. Sie wurde wohl erstmals von General Ludendorff in seinem Sammelband "Urkunden der Obersten Heeresleitung", Erst-ausgabe bei Mittler & Sohn 1920, veröffentlicht, jedoch ohne ihre Anlage, später auch vom Reichsarchiv in seinem Werk "Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft", I. Anlagenband, und wiederum von General Ludendorff in seiner Autobiographie "Mein militärischer Werdegang".
Adressat der Denkschrift war der Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg; der preußische Kriegsminister General v. Heeringen erhielt eine Abschrift mit einem Begleitschreiben des Generalstabchefs v. Moltke.
Die Denkschrift besteht aus zwei Teilen und einer Anlage.
In diesem Aufsatz wird nur auf Teil I der Denkschrift und ihre Anlage eingegangen. Sie sind inhaltlich aufeinander bezogen und daher im Zusammenhang zu sehen. Die Zahlen der Anlage bilden die Grundlage von Teil I der Denkschrift. Daher wird zunächst auf die Anlage eingegangen.
Die Anlage selbst wird diesem Aufsatz in einer Fotokopie aus dem Dokument zu Nr. 54 des Reichsarchivs I. Anlagenband beigefügt.
Die handschriftlichen Zeichen in der Fotokopie der Anlage stammen nicht vom Verfasser dieses Aufsatzes.
Die Anlage enthält
Der Teil I der Denkschrift enthält eine Bewertung der in der Anlage enthaltenen Zahlen. Der Generalstabchef äußert sich für den Fall eines gegenwärtigen Krieges zuversichtlich, betont aber die Notwendigkeit einer Heeresverstärkung, wenn diese Zuversicht für die Zukunft aufrechterhalten werden soll. Er stellt die militärpolitische Lage des Reiches aus seiner Sicht dar. Die Annahmen, von denen er bei den Zahlen der Anlage ausgeht, werden mitgeteilt und es wird begründet, welche Streitkräfte in die Aufstellung der Anlage mit einbezogen wurden. Die beiden militärischen Optionen für eine Kriegführung gegen Frankreich werden erörtert und es wird ausgeführt, welcher der Vorzug zu geben sei.
Der Teil II der Denkschrift enthält ein Programm für die in Teil I geforderte Heeresverstärkung, also ein Rüstungsprogramm. Es ist im Aufsatz 8 dargestellt.
2) Wiedergabe der Zahlen der Anlage unter Berücksichtigung der Annahmen in Teil I der Denkschrift
"Die Zahlen sprechen für sich selbst".
So heißt es in Teil I des Aufsatzes über die Anlage. Daher wird ihre Wiedergabe in diesem Aufsatz dem Teil I vorangestellt.
2.1 Zu Beginn des Krieges 1870/71 Frankreich gegen Preußen und die anderen deutschen Staaten, die als dessen Verbündete in den Krieg mit eintraten, hatten die verbündeten deutschen Heere eine zahlen-mäßige Überlegenheit wie folgt:
bei der Infanterie um 106 Bataillone
bei der Kavallerie um 130 Eskadrons
bei der Artillerie um 600 Geschütze
Gesamtstärke der verbündeten deutschen Heere Infanterie 462.300 Mann, Kavallerie 56.800 Mann, des französischen Heeres 336.000 Mann
In Teil I der Denkschrift werden diese Zahlen mit den Kräfte- verhältnissen der Gegenwart verglichen.
2.2 Einen künftigen Krieg sieht General v. Moltke für jede der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn als einen Zweifrontenkrieg, in welchem diese
Dementsprechend unterscheidet die Anlage zwischen
I. Kriegsschauplatz West (Bezeichnung vom Aufsatz-Verfasser)
und
II. Kriegsschauplatz Ost (Bezeichnung vom Aufsatz-Verfasser)
und teilt die deutschen Streitkräfte auf beide Kriegsschauplätze auf.
2.3 Es werden angegeben
die Gesamtzahl der Einheiten, Feld- und Reservetruppen zusam-mengerechnet,
darüber, in eckige Klammern gesetzt, die Anzahl der darin ent-haltenen Feldtruppen,
jeweils unterteilt nach Bataillonen, Eskadrons, Feldartillerie-Batterien (die Anzahl der Geschütze in Klammern daneben), Schwere Artillerie-Batterien (die Anzahl der Geschütze wiederum in Klammern daneben)
2.4 Kriegsschauplatz West (I.)
Die potentiellen Gegner Frankreich und England haben eine zahlen-mäßige Überlegenheit von 124 Infanterie-Bataillonen, wobei General v. Moltke unterstellt,
dass das französische Alpenkorps durch Italien gebunden sein und daher auf der Seite der Gegner nicht mitgezählt wird,
die deutschen Truppen haben eine zahlenmäßige Überlegenheit
bei der Feldartillerie von 92 Geschützen
bei der schweren Artillerie von 384 Geschützen
falls auch Belgien als Gegner gerechnet werden muss, erhöht sich dadurch die Überlegenheit von Frankreich und England um weitere 68 Infanterie-Bataillone; es sind 302 belgische Geschütze zu berück-sichtigen, sodaß dann auch hier bei der Feldartillerie eine deutsche Unterlegenheit besteht.
2.5 Kriegsschauplatz Ost (II.)
Russland hat über die beiden Mittelmächte eine zahlenmäßige Über- legenheit von 374 Infanterie-Bataillonen und 319 Eskadrons, wobei General v. Moltke unterstellt, dass
nur die russischen Truppen in Europa ohne Kaukasus eingesetzt und einige russische Armeekorps im Inneren Rußlands zurück-gehalten werden,
Rumänien auf der Seite von Deutschland und Österreich-Ungarn in den Krieg eintreten wird, seine Truppen daher den Mittelmächten zugerechnet werden,
Österreich-Ungarn gegebenenfalls 153 Bataillone gegen Serbien zurückbehalten wird.
Russland hat bei der Feldartillerie eine Überlegenheit um 82 Batterien (2020 Geschütze),
die Mittelmächte haben bei der schweren Artillerie eine Überlegenheit um 174 Geschütze.
3) Kommentar zur Anlage der Denkschrift
3.1 Frankreich war seit dem 30jährigen Krieg 1618-1648 die vorherr-schende Militärmacht auf dem europäischen Kontinent, so stark wie alle anderen Mächte zusammen.
Wie konnte es dann nach der Kriegserklärung Frankreichs an Preußen Mitte Juli 1870 innerhalb von 3,5 Monaten zur Kapitulation und Gefangennahme von drei Vierteln des französischen Heeres bei Kriegsbeginn
- am 02.09.1870 Kapitulation Kaiser Napoleons III. und seiner Armee mit 86.000 Mann bei Sedan
- am 27.10.1870 Kapitulation der in und um Metz eingeschlossenen französischen Rheinarmee mit 150.000 Soldaten
kommen?
Die Denkschrift weist auf die zahlenmäßige Überlegenheit der verbündeten deutschen Truppen hin. Ausschlaggebend dürfte die Überlegenheit der Artillerie (600 Geschütze mehr!) gewesen sein.
Die qualitative Überlegenheit der französischen Infanteriebewaffnung (Chassepot-Gewehre, Mitrailleuse) kam durch die Wirkung der deutschen Artillerie nur selten zur Auswirkung, führte dann aber zu hohen Verlusten auf deutscher Seite. "Vor St. Privat starb meine Garde" telegraphierte König Wilhelm I. seiner Gattin.
Zahlenmäßige Überlegenheit ist ein militärischer Vorteil, der 1870 zum Sieg der überlegenen Partei und zur Niederlage der schwächeren Partei führte. Warum, so der Gedankengang in der Anlage der Denkschrift, sollte dies in einem künftigen Krieg anders sein?
3.2 Der Krieg von 1870 war mit den Kapitulationen des französischen Heeres bei Sedan und bei Metz aber keineswegs beendet. Es folgten noch zahlreiche weitere Kampfhandlungen. Die Gesamtdauer des Krieges betrug über 6 Monate. Frankreich stellte neue Truppen auf, die deutschen Truppen gerieten in eine zahlenmäßige Unterlegenheit und in eine schwierige militärische Lage. Trotz ungeheurer Anstren-gungen gelang es Frankreich jedoch nicht mehr, die Niederlagen zu Beginn des Krieges auszugleichen. Die deutschen Truppen blieben siegreich und konnten schließlich sich und ihren Erfolg behaupten. Dass dieses Ergebnis von vornherein zu erwarten gewesen war, lässt sich nicht sagen. Es hätte eine deutsche Niederlage werden können.
3.3 Die in der Anlage mitgeteilten Zahlen sind als eine Aufforderung an den Reichskanzler zu verstehen, sich anhand der mitgeteilten Kräfteverhältnisse selbst eine Meinung über den voraussichtlichen Ausgang eines künftigen Krieges und die Notwendigkeit einer Heeresverstärkung zu bilden.
Die Aufforderung kann ein heutiger Leser auf sich selbst beziehen. Er kann sich die Frage stellen, ob mit der militärischen Niederlage im 1. Weltkrieg von vornherein zu rechnen war oder ob die Ursachen erst im Verlauf der Ereignisse eingetreten sind, ohne dass man dies hätte vorhersehen können.
3.4 Die Zahlenangaben in der Anlage zur Denkschrift sind keine Schätzungen. Ihnen liegen Aufstellungen über die Streitkräfte der voraussichtlichen Gegner Deutschlands zugrunde, die in den einzelnen Abteilungen des Generalstabs anhand der vorhandenen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse erarbeitet wurden. Diese wurden dem Leiter der Zweiten Deutschen Abteilung (die das Deutsche Heer, seinen Aufmarsch für den Kriegsfall und die Festungen des Reichs zu bearbeiten hatte), für seine Arbeit zur Verfügung gestellt und er fasste die Zahlen dann für die Anlage zusammen. Leiter der zweiten Deutschen Abteilung war vom Frühjahr 1908 bis 27.01.1913 der Oberst Ludendorff. Er spricht von den "mit so ungeheurem Fleiß angefertigten Zusammenstellungen über das russische und das französische Heer", in: Ludendorff "Mein militärischer Werdegang", Chef der 2.-Deutschen- Abteilung, S. 117.
3.5 Die Anlage geht unausgesprochen von einer Gleichwertigkeit der deutschen und der französischen Infanteriebataillone aus. In einer späteren Stellungnahme (vom 22. Januar 1913, Dokument Nr. 57 Reichsarchiv I. Anlagen) des Generalstabchefs gegenüber dem preußischen Kriegsminister heißt es: "Auch hier will ich betonen, dass wir von einer geringeren Leistungsfähigkeit der französischen Armee nicht sprechen können, wir würden uns sonst einer schweren Täuschung hingeben."
3.6 Die zahlenmäßige Unterlegenheit des deutschen gegenüber dem französischen Heer mit britischem Expeditionskorps um 124 Bataillone entspricht etwa einem Siebtel der beabsichtigten deutschen Kriegsstärke im Westen. Falls Belgien als Gegner hinzugerechnet werden muss, erhöht sich die zahlenmäßige Überlegenheit der nunmehr drei Gegner im Westen bei der Infanterie auf über ein Fünftel. Im Osten entspricht die zahlenmäßige Überlegenheit von Russland bei der Infanterie etwa einem Drittel der dortigen Streitkräfte der Mittelmächte (einschließlich Rumäniens).
3.7 Die zahlenmäßige Unterlegenheit des deutschen Heeres im Westen sogar gegenüber dem französischen Heer allein ist im Hinblick auf die Bevölkerungszahlen der beiden Staaten unverständlich. Der Umstand, dass ein Teil des deutschen Heeres im Osten gebunden war (8. Armee mit 6 Friedens-Divisionen, 3 Reserve-Divisionen, zusammen 105 Bataillone) und daher im Westen fehlte, liefert keine hinreichende Erklärung. Dafür war die 8. Armee zu schwach.
Die Bevölkerungszahl Frankreichs vor 1914 wird mit 38-40 Millionen Einwohnern angegeben, die des Deutschen Reiches mit über 65 Millionen, davon vielleicht 60 Millionen Deutsche. (Die Staatsbürger nichtdeutscher Zunge hatten aber ebenfalls Wehrdienst zu leisten!, waren folglich im deutschen Heer mit enthalten.)
Unter Einschluss der Marine standen 1913 in Frankreich über 2 % der Bevölkerung unter Waffen. Die Friedensstärke des französischen Heeres ohne Kolonialtruppen lag über der des deutschen Heeres. Das preußische Kriegsministerium orientierte sich bis einschließlich 1912 an der in der Reichsverfassung 1871 vorläufig getroffenen Festlegung von 1 % und verwies darauf, dass unter Einschluss der Marine über 1 % der Bevölkerung unter Waffen standen. Dass sich die militärische Lage gegenüber 1871 grundlegend geändert hatte und daher dieser Vergleich unangebracht war, begriff man im preußischen Kriegs-ministerium nicht.
Unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl ergibt sich der Rück- schluss, dass das Deutsche Reich sein Heer zahlenmäßig deutlich geringer ausgebaut hatte als Frankreich. Um in der Rüstung mit Frankreich gleichzuziehen, hätte das Deutsche Reich 10 Infanterie-divisionen mehr haben müssen als tatsächlich vorhanden waren.
Der Leser mag sich nach alledem weiter fragen, ob die Annahme, bei einem zukünftigen Krieg im Westen zu einem schnellen militärischen Sieg zu gelangen, unter den gegebenen Umständen und nach den geschichtlichen Erfahrungen realistisch war – soweit diese Annahme bei den handelnden Personen wirklich bestand.
4) Inhaltswiedergabe bzw. -angabe von Teil I der Denkschrift
Die militärpolitische Lage Deutschlands
General v. Moltke schreibt - Zitat:
"Dem bewaffneten Zusammenstoß zweier der großen Militärmächte Europas wird, bedingt durch die wechselseitigen Verträge, der Ausbruch eines allgemeinen Europäischen Krieges folgen. In einem solchen verfügt die Triple-Entente über die gesamten Land- und Seestreitkräfte Frankreichs, soweit erstere nicht in Nordafrika gefesselt sind, über die englische Seemacht und das englische Expeditionskorps und über die Kräfte Russlands in Europa, mit Ausnahme einiger Heeresteile, die wahrscheinlich zur Unterdrückung innerer Unruhen zurückgehalten werden müssen.
Diesen Kräften gegenüber verfügt der Dreibund über das gesamte Deutsche Heer und die Deutsche Flotte, sowie, mit nachstehenden Einschränkungen, über die Land- und Seestreitkräfte Österreich-Ungarns, Italiens und wohl auch Rumäniens."
Angabe des weiteren Inhalts:
Der Generalstabchef untersucht die "Einschränkungen" bei den Verbündeten:
Österreich-Ungarn wird, solange keine endgültige Entspannung in seinem Verhältnis zu Serbien eingetreten ist, bei einem Krieg gegen Rußland gezwungen sein, Truppen an seinen Balkangrenzen zurück-zulassen.
Italiens Wehrmacht ist durch den Erwerb seiner neuen afrikanischen Besitzungen in einer Richtung in Anspruch genommen, die nicht in der Linie der großen politischen Ziele des Dreibundes liegt.
General v. Moltke schreibt weiter - Zitate:
"Gewiß bildet der Dreibund zur Zeit einen geeinten Staatenbund von größter politischer Bedeutung. Will man aber, den Kriegsfall voraus-gesetzt, seine militärische Kraft richtig bewerten, so .... muß man feststellen, welches Maß an Kraft im Kriegsfall jeder einzelne Staat des Dreibundes zu gemeinsamem Handeln einsetzen kann und wird..."
"In einem Kriege des Dreibundes gegen die Triple-Entente wird Österreich schon aus Selbsterhaltungstrieb seine ganze Kraft, soweit sie nicht durch die Haltung der oder eines der Balkanstaaten gefesselt ist, gegen Russland aufbieten...
Für Deutschland ist das Einsetzen seiner gesamten Wehrmacht selbst-verständlich.
Italien hat aber an einem allgemeinen europäischen Kriege, der aus einem Konflikt zwischen Österreich und Rußland entspringt, kein vitales Interesse..." (wird ausgeführt)
"... Unter allerlei Vorwänden wird Italien, wie ich festgestellt habe, seine dritte Armee, deren Transport an den oberen Rhein seit langen Jahren von uns bearbeitet ist, nicht schicken. Damit fallen für Deutschland fünf Armeekorps und zwei Kavalleriedivisionen gegen Frankreich aus. Diesem und England gegenüber werden wir ohne direkte Hilfe allein dastehen."
"... Wenn die Regelung der Balkanfrage ... für Österreich nicht in der Form eines vollen Sieges - sei es politisch oder militärisch - erfolgt, (wird dies) für den Dreibund einen Verlust an Prestige, für Österreich selbst eine unberechenbare Schwächung zur Folge haben. Die Monarchie wird damit unaufhaltsam der inneren Zersetzung verfallen..."
"Der Dreibund ist als Defensivbündnis geschlossen worden. Er trägt alle Schwächen eines solchen in sich...."
"Ebenso wie der Dreibund bezeichnet sich die Triple-Entente als ein Defensivbündnis; aber während der Gedanke der Abwehr dem Drei-bundabkommen in ausgesprochenster Weise zugrunde liegt, sind in der Triple-Entente starke offensive Tendenzen vorhanden, d.h. politische Ziele, deren Erreichung den in ihr vereinigten Staaten erstrebenswert erscheinen muss:" .... (wird ausgeführt)
"Man kann das Wesen des Dreibundes .... kurz so charakterisieren: Der politisch am meisten bedrohte Teil der drei Kontrahenten ist Österreich, der militärisch bedrohteste Deutschland, der politisch und militärisch am wenigsten interessierte Italien. Kommt es zum Kriege, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass seine Hauptlast auf den Schultern des von drei Seiten durch seine Gegner umklammerten Deutschland liegen wird."
"Trotzdem werden wir, wenn es gelingt, den casus belli so zu formulieren, dass die Nation einmütig und begeistert zu den Waffen greift, unter den augenblicklichen Verhältnissen auch den schwersten Aufgaben noch mit Zuversicht entgegensehen können. Die numerische Stärke unseres Heeres ... genügt aber .... nicht, um den Aufgaben der Zukunft gewachsen zu sein."
"Wir werden ..., der zentralen Lage Deutschlands entsprechend, immer genötigt sein, nach mehreren Seiten Front zu machen und daher uns nach einer Seite mit schwächeren Kräften defensiv halten müssen, um nach der anderen offensiv werden zu können. Diese Seite kann immer nur Frankreich sein. Hier ist eine rasche Entscheidung zu erhoffen, während ein Offensivkrieg nach Rußland hinein ohne absehbares Ende sein würde. Um aber gegen Frankreich offensiv zu werden, wird es nötig sein, die belgische Neutralität zu verletzen. Nur bei einem Vorgehen über belgisches Gebiet kann man hoffen, das französische Heer in freiem Felde angreifen und schlagen zu können. Wir werden auf diesem Wege das englische Expeditionskorps und - wenn es nicht gelingt, mit Belgien zu einem Vertrage zu kommen - auch die belgischen Truppen vor uns finden. Gleichwohl ist diese Operation aussichtsreicher als ein frontaler Angriff gegen die befestigte französische Ostfront. Ein solcher Angriff würde der Kriegführung den Charakter des Festungskrieges aufzwingen, viel Zeit kosten und dem Heere den Schwung und die Initiative nehmen, deren wir um so mehr bedürfen, je größer die Zahl der Feinde ist, mit denen wir abzurechnen haben."
"Würde Italien heute noch wie vor 20 Jahren als gemeinsame Offensive verabredet wurde, bereit sein, in der damals geplanten energischen Weise an der Kriegsführung Teil zu nehmen, so würde man der vereinigten deutsch-italienischen Operation einen fast sicheren Erfolg zusprechen können. Leider ist dies nicht mehr der Fall... Deutschland ist auf seine eigene Kraft angewiesen, es kann daher nicht stark genug sein.
Ist es so einerseits nötig, die aktive Wehrkraft des Deutschen Reiches wesentlich zu erhöhen, so springt andererseits die Wichtigkeit der Verstärkung unserer Befestigungen an der Ostfront … in die Augen“.
"Die Anlage trägt vorstehend geschilderter Lage und den Stärke-verhältnissen Rechnung, wie sie nach diesseitiger Beurteilung für den derzeitigen Kriegsfall einzusetzen sein werden... Die Zahlen sprechen für sich selbst."
"In der Anlage unter I sind die Kräfte, die Deutschland bei einem Kriege gegen die Triple-Entente ins Feld stellen kann, ... den auf Seiten Frankreichs und Englands verfügbaren Kräften gegenübergestellt. Die Tabelle ergibt eine Unterlegenheit Deutschlands um 124 Bataillone; wenn Belgien dem Gegner zugerechnet wird, um 192 Bataillone.... Die italienische Armee ist - da sie nicht kommt - weggelassen, dafür die französische Alpenarmee, die durch Italien gefesselt sein wird, ebenfalls in Abrechnung gebracht.... Deutschland muss den Entscheidungskampf allein führen... (es) muss den Krieg gegen Frankreich jetzt, allerdings noch mit einer geringen artilleristischen Überlegenheit, aber mit großer Unterlegenheit von Infanterie führen und wird dabei auch im Rücken von Russland angegriffen sein. Die Überlegenheit unserer artilleristischen Aufrüstung beruht zur Zeit auf der stärkeren Entwicklung des Steilfeuers (Feldhaubitzen) und unserer schweren Artillerie des Feldheeres. Daneben sind wir auch in unserer Ausrüstung an Feldküchen und Zelten und in unserer Infanteriebewaffnung den Franzosen noch voraus.“...
"Nach II der Anlage verfügt im Osten Rußland über eine sehr erhebliche numerische Überlegenheit.... Augenblicklich ist Rußland mit der Reorganisation seines Heeres, mit seiner Ausrüstung und seiner Bewaffnung noch sehr im Rückstand. Zur Zeit würde daher auch ihm gegenüber der Dreibund einen Waffengang trotz seiner numerischen Unterlegenheit nicht zu scheuen brauchen. Wer aber mit der Zukunft rechnet, wird sich vor Augen halten, dass Rußland bei den ungeheuren Summen, die es auf die Verbesserung seines Heeres verwendet, mit jedem Jahr mehr erstarken wird. Ebensowenig wie Deutschland erstreben kann, jemals England als Seemacht zu überholen, kann es das Ziel verfolgen, Rußland als Landmacht zu überbieten. Ebensowenig darf es aber auch unterlassen, alle die Mittel aufzubieten, die ihm noch in großem Umfang zur Verfügung stehen, um die Machtstellung zu behaupten, die es seinen Nachbarn gegenüber eingenommen hat, so-lange diese ihre Wehrkraft nicht bis auf die jetzige Höhe gesteigert hatten und weiter steigern werden"...
"Die Notwendigkeit einer Steigerung unserer Wehrkraft und einer Verbesserung unserer Landesverteidigung glaube ich ... nachgewiesen zu haben. Mit unabweisbarem Zwang werden sie durch die politische Lage gefordert. Gewiß sind es große personelle und pekuniäre Opfer, die von der Nation bei der Erfüllung der hierdurch hervorgerufenen und im Teil II der Denkschrift im einzelnen näher dargelegten Forderungen verlangt werden;
sie werden aber immer noch erheblich hinter denjenigen zurückbleiben,
die wir im Falle eines verlorenen Feldzuges zu leisten haben werden.“
(Hervorhebung vom Aufsatzverfasser)
Angabe des weiteren Inhalts:
Die Rüstungsanstrengungen anderer europäischer Staaten - Frankreich, Rußland, England, Schweiz, Belgien, Österreich werden angesprochen.
Schlußabsatz des Generals v. Moltke - Zitat:
"Auch Deutschland wird Opfer bringen müssen. Das Programm, das für die notwendigsten Forderungen im Teil II der Denkschrift aufgestellt ist, muß mit aller Energie bald durchgeführt werden, damit Deutschland auch in Zukunft, auf die eigene Kraft vertrauend, der politischen Leitung des Landes einen Rückhalt geben kann, der stark genug ist, um allen Möglichkeiten gewachsen zu sein."
5) Allgemeiner Kommentar zu Teil I der Denkschrift
5.1 Zunächst ist die Reaktion der preußischen Kriegsminister v. Heeringen und seines Nachfolgers v. Falkenhayn darzustellen.
Die Denkschrift vertraute auf die Aussagekraft der in ihr mitgeteilten militärischen Kräfteverhältnisse von Dreibund und Triple-Entente. Sie liessen bei objektiver Bewertung schwerlich einen anderen Rückschluss zu, als dass die Mittelmächte im Kriegsfall mit einer Niederlage zu rechnen haben. Diesem Rückschluss diente auch der Vergleich mit den Kräfteverhältnissen zu Beginn des Krieges von 1870.
Die Erwartung war, dies werde den preußischen Kriegsminister und den Reichskanzler zu der geforderten Heeresvermehrung von 3 Armeekorps veranlassen. Diese Erwartung bewahrheitete sich nicht. Die Kriegsminister v. Heeringen und sein Nachfolger v. Falkenhayn lehnten diese Heeresvermehrung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. Ihre Begründungen dafür sind nicht überzeugend, teilweise Scheinargumente. Die Minister nahmen keine Stellung dazu, wie das deutsche Heer im Kriegsfall mit der zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners fertig werden sollte. Ihre Äußerungen beschränkten sich darauf, warum eine Neuaufstellung von Armeekorps nicht möglich oder nicht zu empfehlen oder sogar - v. Falkenhayn - zwecklos wäre. Es wurde für einen Kriegsfall keinerlei zusätzliche Vorsorge getroffen.
Das Problem blieb ungelöst liegen. Die zahlenmäßige Überlegenheit der militärischen Gegner wird zur Kenntnis genommen, Folgerungen zur Heeresvermehrung werden nicht gezogen. Die Kriegsminister verweigerten sich der Realität. Auffallend ist dabei, dass die materielle Ausstattung des Heeres in mehrfacher Hinsicht eine Rolle spielt. Es werden keine neuen Armeekorps aufgestellt - dies hätte die Ausstattung mit Feldartillerie erfordert. Die Landwehr erhält keine weitere Feldartillerie. Rechnet man die unzureichende Ausstattung der Reservedivisionen mit Feldartillerie hinzu, so ergibt sich als Befund eine unzureichende Ausstattung des Heeres mit Feldartillerie, von der unzulänglichen Munitionsausstattung ganz zu schweigen.
5.2 Haben der Reichskanzler und der Kriegsminister den Reichstag im Haushaltsausschuss über die Kräfteverhältnisse, wie sie sich aus der Anlage zur Denkschrift ergibt, unterrichtet? Haben sie dem Ausschuss mitgeteilt, dass die Milliarden-Heeresvorlage an diesem Ungleich-gewicht nichts änderte?
Die umgekehrte Fragestellung ist ebenso berechtigt. Haben die Reichstagsabgeordneten vom Reichskanzler Aufschluss über die militärischen Kräfteverhältnisse in Europa gefordert? Die Berechtigung zu dieser Fragestellung besaßen sie, da die Reichsverfassung dem Gesetzgeber die Entscheidungsbefugnis über die Friedensstärke des Heeres zuwies.
Der Aufsatzverfasser hat die Frage nicht klären können. Bei dem Historiker Niall Ferguson findet man die Wiedergabe einer These des Historikers Eckart Kehr, wonach die "militarisierten und feudalisierten" Mitglieder des Reichstags Ludendorffs "große Denkschrift",
wäre sie ihnen vorgelegt worden
(Hervorhebung vom Aufsatzverfasser)
gebilligt hätten. Mit dieser Formulierung wird die Fragestellung, was die Mitglieder des Haushaltsausschusses wußten, umgangen. Denn um sich über die militärischen Kräfteverhältnisse zu informieren, waren die Abgeordneten nicht auf die Vorlage der Denkschrift angewiesen. Sie konnten vom Reichskanzler jederzeit die Mitteilung exakter Zahlen fordern. Es erscheint unglaubwürdig, dass die Abgeordneten einer Milliarden-Heeresvorlage, die eine direkte Besteuerung der einkommensstarken und besitzenden Bevölkerungs-kreise notwendig machte, ohne genaue Prüfung der Ursachen zustimmten. Es ist Niall Ferguson Recht zu geben, wenn er an der These von Kehr Zweifel anmeldete.
5. 3 Wie verhielt sich General v. Moltke in dieser Lage?
Paradoxerweise verweigerte auch er sich der Realität, unbeschadet der von ihm selbst in der Denkschrift dargelegten Tatsachen. Seine positiven Prognosen über den Ausgang eines Krieges im gegenwärtigen Zeitpunkt waren Fehlprognosen. Sie hatten keine Entsprechung in der Wirklichkeit.
5.3.1 Einen Schwerpunkt in Teil I bilden die Ausführungen, dass und warum Italien seiner Bündnispflicht zur militärischen Beistands-leistung gegenüber dem Deutschen Reich nicht nachkommen wird. Hieraus ergibt sich - so Moltke - eine Zuspitzung der militärischen Lage des Reiches. Moltke rechnet aber nach wie vor damit, dass Italien an der Grenze zu Frankreich aufmarschieren und dadurch das französische Alpenkorps binden wird.
Im geschichtlichen Rückblick erscheint die Mühe, die sich Moltke mit seinem Nachweis einer fehlenden militärischen Unterstützung durch Italien gibt, erstaunlich. Der Architekt des Dreibundes - Vertrags-abschluss war 1882 -, Reichskanzler Otto von Bismarck, hatte nicht ernstlich mit einer militärischen Unterstützung des Reiches in einem Krieg mit Italien gerechnet. Ihm ging es vor allem um eine Über- brückung des Gegensatzes zwischen Italien und Österreich-Ungarn, also um die Vermeidung eines Krieges zwischen diesen beiden Staaten, oder, anders ausgedrückt, um die Wahrung des Friedens in Europa. An dessen Aufrechterhaltung hatte das Deutsche Reich ein vitales Interesse. Es konnte in einem europäischen Kriege nichts gewinnen. Insoweit zutreffend betont Moltke die politische Bedeutung des Dreibundes - der Vertrag mit Italien war im Dezember 1912 noch einmal erneuert worden.
Moltkes Amtsvorgänger v. Schlieffen hielt es für eine Illusion, auf ein militärisches Eingreifen der Verbündeten zugunsten des Deutschen Reiches zu rechnen (Anmerkung zu Dokument Nr. 19 des Reichsarchivs I. Anlagenband). Dem folgt Moltke nicht. Für ihn ist es eine neue Entwicklung, dass Italien keine Truppen an den Oberrhein zur Unterstützung des deutschen Heeres schicken wird.
Im Preußischen Kriegsministerium war man noch bei der Einbringung des Heeresgesetzes 1911 davon ausgegangen, dass Italien "wenigstens einen gewissen Teil des französischen Heeres fesseln würde" (Denkschrift General Wandel vom 29.11. 1911, Dokument Nr. 41 des Reichsarchivs I. Anlagenband). Der Leiter des Allgemeinen Kriegsdepartments, General Wandel, sieht nunmehr Italien außer-stande, "nennenswerte Kräfte zu einer Bedrohung Frankreichs bereit-zustellen". Für ihn war dies einer der Gründe, eine Verschlechterung der militärischen Lage des Reiches gegenüber 1911 anzunehmen und für 1912 eine Heeresreform anzustreben. Mit dieser war für ihn "auf absehbare Zeit ein Abschluss der Organisation als erreicht anzu- nehmen".
Die Frage liegt nahe, wie der Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg in dieser Frage dachte. Sie kann hier nicht beantwortet werden.
Sowohl Kriegsministerium als auch Moltke gründeten also ihre Planungen für die Sicherheit des Reiches bis 1911 auf Italiens militärischen Beistand. Wenn Moltke daran noch Ende 1912 festhielt, was eine Bindung des französischen Alpenkorps durch Italien angeht, so erscheint dies zweifelhaft, vermutlich sogar illusionär. Es könnte sich dabei allerdings auch um ein Zugeständnis an den Reichskanzler bzw. an das Kriegsministerium gehandelt haben.
Bei einer realistischen Sichtweise musste man damit rechnen, dass sich das Deutsche Heer im Falle eines Krieges mit Frankreich einer zahlenmäßigen Überlegenheit von mehr als 200 Bataillonen Infanterie gegenüber sehen konnte.
5.3.2 General v. Moltke unterscheidet in der Denkschrift Teil I bei den Erfolgsaussichten für einen künftigen Krieg zwischen Gegenwart und Zukunft.
Für die Gegenwart sind seine Prognosen positiv
"Wir (können) ... unter den augenblicklichen Verhältnissen auch den schwersten Aufgaben noch mit Zuversicht entgegensehen."
Für die Zukunft wird die Alternative "verstärkte Rüstungs-anstrengungen" einerseits, ein "verlorener Feldzug" andererseits aufgestellt, das heißt, im Kriegsfall ist mit einer militärischen Niederlage zu rechnen.
An Sachargumenten für eine positive Prognose in der Gegenwart lässt sich dem Teil I entnehmen,
- für den Westen:
die Annahme einer Überlegenheit der artilleristischen Ausrüstung, ferner der Ausrüstung an Feldküchen und Zelten sowie der Infanterie-Bewaffnung
- für den Osten:
Russland sei mit der Reorganisation seines Heeres, mit seiner Ausrüstung und Bewaffnung noch sehr im Rückstand
Diese Argumente überzeugen, soweit es um den Westen geht, angesichts der dargestellten infanteristischen Überlegenheit der Gegenseite nicht. Die Argumente für den Osten sind schlüssig - was aber nicht bedeutet, dass sie zutreffen.
Wie ist die positive Prognose für den Westen mit Moltkes eigenen Ausführungen
"würde Italien heute noch wie vor 20 Jahren ... bereit sein, in der damals geplanten energischen Weise an der Kriegführung Teil zu nehmen, so würde man der vereinigten Deutsch-Italienischen Operation einen fast sicheren Erfolg zusprechen können. Leider ist dies nicht mehr der Fall".
vereinbar? Folgte Moltke nicht dem bloßen "Prinzip Hoffnung", ohne sachliche Grundlage, wenn er an einen Erfolg glaubte?
5.3.3 Es gibt Verhaltensweisen Moltkes außerhalb der Denkschrift, die im Sinne einer positiven Prognose für den Ausgang eines gegenwärtigen Krieges gedeutet werden können. Das gilt insbesondere in den kritischen Monaten Oktober 1912 - Beendigung der Balkan-kriege - bis Januar oder Februar 1913. Dafür sollen 3 Beispiele gegeben werden.
Beispiel 1
Unter dem Datum vom 25.11.1912 hatte Moltke ein Schreiben an den Kriegsminister gerichtet, in welchem eine Erhöhung des Präsenzstandes der Bataillone "wenn irgend möglich bis zur vollen Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht" gefordert wurde. Dazu gibt das Reichsarchiv eine Bemerkung des Kriegsministers v. Heeringen am Kopf des Schriftstücks wieder:
"Der Chef des Generalstabes d.A. hat mir in einer heutigen Rücksprache erklärt, ... Betr. der augenblicklichen milit. Lage sei er mit mir der Meinung, dass das Deutsche Heer mit vollster Zuversicht allen Ereignissen der Zukunft entgegensehen könne..."
Beispiel 2
"Ich halte einen Krieg für unvermeidbar u. je eher je besser."
Dieses Moltke-Zitat findet sich in den Tagebuchaufzeichnungen des Chefs des Marine-kabinetts Georg Alexander von Müller. Die Aufzeichnungen haben den sogenannten Kriegsrat Kaiser Wilhelms II. vom 08. Dezember 1912 zum Gegenstand. An der Besprechung nahmen vorzugsweise Marineoffiziere, nicht aber der preußische Kriegs-minister oder gar der Reichskanzler teil.
Begründet habe Moltke seine Auffassung damit, dass die Armee in immer ungünstigere Lage käme, weil die Gegner stärker rüsteten als wir, die wir mit dem Gelde gebunden seien.
Die Äußerungen lassen sich als Forderung nach einem militärischen Präventivschlag interpretieren, und es gibt Historiker, welche dies tun. Mit seiner Entscheidung Ende Juli 1914, in einen Krieg einzutreten, habe Moltke nur eine schon zuvor feststehende innere Festlegung in die Tat umgesetzt.
In diesem Aufsatz geht es nur darum, das Moltke anscheinend der Meinung war, einen Krieg gegenwärtig gewinnen zu können - und dass diese Meinung mit den von ihm selbst in der Denkschrift dargelegten militärischen Tatsachen unvereinbar ist. Das Deutsche Reich durfte sich auf keinen Krieg einlassen, solange nicht neue Armeekorps aufgestellt waren. Das mußte dem Kaiser unumwunden mitgeteilt werden.
Beispiel 3
Unter dem Datum vom 25.01.1913 schreibt Kaiser Wilhelm II. dem Kriegsminister v. Heeringen über den ihm gehaltenen Vortrag des Chefs des Generalstabes:
"Der Chef des Generalstabes hat ausdrücklich erklärt, dass er n i c h t das Verlangen gestellt habe, die Kadrevermehrung für 3 Armeekorps schon jetzt in die diesjährige Vorlage einzustellen. Sondern sie möge im Auge behalten werden als zu erreichendes Ziel und sukzessive nach Maßgabe der Bereitstellung der Mittel und Chargen durchgeführt werden..... Also beauftrage ich Euer Excellenz gemeinsam mit dem Generalstabe in die Vorarbeiten für die Neuformationen von 3 Armee-Korps einzutreten, sobald die jetzige Vorlage angenommen ist, und sie für das neue Quinquennat bereitzustellen."
(Zitat Ende)
Mit dieser Haltung setzt sich Moltke von seinem Abteilungsleiter Ludendorff ab, der die Neuaufstellung von 3 Armeekorps als ausschlaggebend "für den siegreichen Ausgang des nächsten Krieges gefordert" hatte.
Wie soll man all diese Äußerungen Moltkes mit den von ihm selbst mitgeteilten militärischen Tatsachen in Einklang bringen? Lassen sie sich anders bezeichnen denn als eine krasse Fehlprognose der Erfolgsaussichten eines künftigen Krieges?
5.3.4 Der Generalstabchef gehörte im Kriegsfall zum Großen Hauptquartier seiner Majestät des Kaisers. Er hatte für diesen die Operationen des Feldheeres zu leiten. Daraus ergab sich eine unmittelbare Verantwortlichkeit gegenüber dem Kaiser.
Im Frieden hatte sich der Generalstabchef auf den Kriegsfall vorzubereiten. Dazu gehörte vor allem die Erstellung eines Aufmarschplanes für das Heer. Was erforderte die Verantwortung gegenüber dem Kaiser im Frieden?
Darf man sagen, dass der Generalstabchef dem Kaiser ein wirklichkeitsgetreues Bild der Erfolgsaussichten eines künftigen Krieges zu vermitteln hatte?
Wenn ja, so ist Moltke seiner Verantwortung im Frieden nicht gerecht geworden.
Mildernde Umstände sind Moltke nicht zuzubilligen. Er kannte die militärischen Tatsachen, und deren sachgerechte Würdigung ist das geringste Erfordernis, das man an einen Generalstabchef stellen muss. Moltke kannte auch die negative Beurteilung der Erfolgs-aussichten durch seinen Abteilungsleiter Ludendorff, die sich aus den von diesem vorgenommenen Kriegs"spielen" ergab. Moltkes Annahme, dass die Gegner Deutschlands stärker rüsten würden und daher ihnen zuvorzukommen sei, kommt hier gerade nicht in Betracht, da es um die eigene Rüstung geht, wie diese zu bemessen sei.
Moltke hätte im Januar 1913 einen Beschluss der Reichsleitung zur Neuaufstellung von Armeekorps erzwingen können. Der Kaiser machte seine Haltung erkennbar von der Stellungnahme seines Generalstabchefs abhängig, und wenn der Kaiser sich für eine Neuaufstellung ausgesprochen hätte, wäre dem Kriegsminister nichts anderes übrig geblieben, als sich dem anzuschließen. Der Reichskanzler hätte sich dem Votum schwerlich verweigert.
5.2.5 Zwischen Moltkes Amtsvorgänger v. Schlieffen (Generalstabchef bis 31.12.1905) und General v. Einem als Kriegsminister (von 1903 bis 1909) hatten grundlegende Meinungsverschiedenheiten über die Weiterentwicklung der Heeresorganisation bestanden. v. Einem sah die Entwicklung des Heeres als abgeschlossen an, trotz einiger Lücken, und blockierte die Weiterentwicklung der Friedens-organisation des Heeres noch über seine Amtszeit hinaus. v. Schlieffen hatte widersprochen. Er halte
"die fortgesetzte Weiterentwicklung der Armee zur Erhaltung des Staates für unabweisbar"
(Schreiben Schlieffens an das Kriegsministerium vom 04.11.1905)
Zu dieser Erkenntnis ist Moltke zu keiner Zeit vorgedrungen.
Ernsthafte Bemühungen um eine Weiterentwicklung der Friedens-organisation des Heeres sind bei Moltke nicht nachweisbar. Das Reichsarchiv dokumentiert dies in den von ihm ausgewählten Schriftstücken einer Korrespondenz zwischen General- stab und Kriegsministerium.
So heißt es in einem Schreiben Moltkes an den Kriegsminister v. Einem vom 12.04.1907:
"... eine Friedensorganisation der 2ten Divisionen des XX. und XXI. Armeekorps würde die Kriegsorganisation dieser Armeekorps wesentlich verbessern. Da aber daraus neue Forderungen für Kavallerie und Artillerie gefolgert würden, so nehme ich hiervon Abstand.... "
(Erläuterung: Gemeint sind hier die Neuaufstellung der 41. und 42. Division, die das Kriegsministerium erst für den Kriegsfall beabsichtigte, ebenso wie die Neuaufstellung des XX. und XXI. Armeekorps, die erst im Kriegsfall erfolgen sollte.)
Der Kriegsminister v. Einem stellte in einem Schreiben vom 23. Juli 1909 an Moltke fest:
"In Übereinstimmung mit Eurer Excellenz sehe ich den Rahmen des Heeres ... trotz einiger Lücken als unveränderlich an..."
Der Kriegsminister v. Heeringen spricht in einem Schreiben vom 02. Dezember 1912 von einem gemeinsamen Handeln mit dem Generalstabchef:
"Gewiß wurde die Heeresvorlage 1912 ... vom Chef des Generalstabes und mir bemessen. Wir waren uns aber klar.... Wir suchten den Ausgleich..."
Die Heeresvorlage 1912 sah die Neuaufstellung von zwei Armeekorps bereits im Frieden vor. Moltke hätte hierbei die Gelegenheit gehabt, dem Kriegsminister eigene Vorstellungen, wie es mit der Friedensorganisation des Heeres weiter gehen sollte, vorzutragen. Solche Vorstellungen hatte er aber nicht. Er erfaßte die Bedeutung dieser Frage nicht, trotz einer mehrjährigen Amtszeit.
Die Beurteilung Ludendorffs in seiner Autobiographie, sein Drängen habe Moltke (mit der Abfassung der Denkschrift) über seinen bisherigen Wirkungskreis hinausgeführt, erscheint daher zutreffend. Die Begrenztheit seiner Sichtweise überwand Moltke nicht.
Wer von einem "Versagen" Moltkes sprechen will, sollte dieses bereits im Frieden ansiedeln und es in einer sachlich nicht begründbaren positiven Prognose für den Ausgang eines künftigen Krieges suchen. Hier liegt der Unterschied zu Moltke d.Ä., dessen Prognosen sachlich fundiert und zutreffend waren.
6) Kommentar zur Prognose Moltkes für einen gegenwärtigen Krieg im Osten
Die positive Prognose für den gegenwärtigen Zeitpunkt war eine Fehl-prognose. Sie stand im Widerspruch zu den militärischen Tatsachen.
k.u.k. Armee:
Die am 21.12.1912 verfügbaren Tatsachen deuteten - bei objektiv zutreffender Erkenntnis und Wertung - auf eine Niederlage der innerhalb der ersten Kriegswochen hin.
deutsche Seite:
Der tatsächliche Kriegsverlauf im August und September 1914 bildet kein Gegen-argument, da er von niemandem erwartet worden war.
6.2 Die Armee Österreich-Ungarns - die k.u.k. Armee - war um 20 oder 30 Jahre hinter der Zeit zurück. Der Militärhistoriker Liddell Hart schreibt (History of the First World War – Chapter IV Scene 3)
„The Austrian Army was the most obsolete in equipment among those of the Great Powers; its field guns were fewer in proportion und shorter in range; some two-thirds of the rifles were of old pattern, a quarter of a century old…”
(Conrad von Hötzendorf) … had over a hundred thousand cavalry, but a mere forty-two aircraft, and of those only a few were serviceable”....
Waren diese Tatsachen dem deutschen Generalstabchef nicht bekannt? Er besaß in seinem Generalstab Abteilungen für Rußland wie für Österreich-Ungarn. Hat er einen Zusammenstoß der Heere beider Staaten durchspielen lassen? War er falsch unter-richtet worden? Folgte er einem subjektiven Empfinden?
Am Ende der Denkschrift findet sich zu Österreich-Ungarn eine Formulierung „die nur allzu lange versäumte Ausgestaltung seines Heeres“. Liegt hier nicht ein Widerspruch zu der positiven Prognose vor?
6.3 Das Heer Österreich-Ungarns war eine historisch gewachsene multinationale Armee mit drei Kommandosprachen, Deutsch, Ungarisch und Serbokroatisch. Die sprachliche Verständigung innerhalb der Armee stieß auf Schwierigkeiten; eine Ausbildung des einzelnen Soldaten wie in Deutschland (unterstellt, die Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen hätte bestanden) war nicht möglich, denn eine solche setzt die sprach-liche Verständigungsmöglichkeit voraus. Die 80 deutschen Worte, die jeder Rekrut zu lernen hatte, reichten dafür nicht aus. Dennoch war das Heer noch bei Kriegsbeginn 1914 eine Einheit in der vorgegebenen Vielfalt.
Deutsche und Ungarn hatten einen Anteil an der Gesamtbevölkerung von je 22 %, was jeweils etwa 12 Millionen Einwohnern entspricht. Etwa die Hälfte der Gesamtbevöl-kerung der beiden Monarchien war der slawischen Völkerfamilie zuzurechnen. Deutsche und Ungarn bildeten den Rahmen der Armee, die Deutschen waren das verbindende Element.
Es bedurfte einer zahlenmäßigen Verstärkung, die nur aus dem Deutschen Reich hätte kommen können. Eine Erhöhung des Anteils der deutsch-sprachigen Soldaten bzw. deutscher Offiziere und Unteroffiziere mit slawischen Sprachkenntnissen hätte die Leistungsfähigkeit des Heeres ins-gesamt verbessert. Von österreichischer Seite wird zudem das positive psychologische Moment hervorgehoben, das eine Unterstellung deutscher Soldaten unter österreichischen Befehl hätte haben können.
In Deutschland fehlte jedes Verständnis für eine derartige Notwendigkeit. Es gab im Frieden keine militärische Zusammenarbeit, nicht einmal gemeinsame Manöver. Der Dreibund war, wie in der Denkschrift ausgeführt wurde, ein politisches und kein mili-tärisches Bündnis, im Gegensatz zur Triple-Entente, die ein Militärbündnis war. Jedoch gibt es Mitteilungen, wonach die k.u.k. Armee dem deutschen Heer im August 1914 schwere Artillerie (Mörser?) für die Beschießung von Festungen zur Verfügung gestellt habe.
6.4 Die Monarchie Österreich-Ungarn hatte sich mit der Annexion von Bosnien-Herzegowinaim Jahr 2008 keine Freunde erworben. Die britische Regierung war wegen der Vorge-hensweise nachhaltig verstimmt. DerGegensatz zu Russland (Stichwort Panslawis-mus), das hinter Serbien und den großserbischen Bestrebungen stand, verschärfte sich.
Mit dem Erstarken großserbischer Kreise innerhalb Serbiens seit 1903 (Ermordung desKönigs Aleksander und der Königin Draga durch die "Schwarze Hand", Oberst "Apis") und dem politischen und militärischen Aufstieg Serbiens in den Balkankriegen 1912 wuchs für Österreich-Ungarn die Gefahr eines Zweifrontenkriegs gegen Serbien und Rußland. Aus der Sicht des Serbien von 1912 lebten Serben in allen Nachbarstaaten, so im Königreich Ungarn (vor allem in der Vojvodina) oder auch in Bosnien-Herzegowina, in der Regel vermischt mit anderen Völkern. Diese Staaten waren daher mögliche Ziele serbischer Bestrebungen, ein Groß-Serbien zu schaffen, das alle Serben umfassen sollte. Dass dieses Groß-Serbien dann auch Angehörige anderer Völker umfassen würde, störte die Groß-Serben nicht.
Eine Vergrößerung Serbiens auf Kosten Österreich-Ungarns hätte die europäische Machtbalance zugunsten Russlands verschoben. In Russland gab es hinreichend Poli-tiker und Militärs, die bereit waren, eine solche Entwicklung zu unterstützen oder ihr nachzuhelfen, auch militärisch.
Für den Generalstabchef Österreich-Ungarns, General Conrad v. Hötzendorf,war es einfache Arithmetik zu erkennen, dass die Monarchie einem Zweifrontenkrieg gegen Serbien und Russland nicht gewachsen sein würde (48 Friedensdivisionen, im Kriegsfall vielleicht verfügbar 50 oder 51 Divisionen). Er forderte daher während der Balkankriege 1912 einen Präventivschlag Österreich-Ungarns gegen Serbien, um dieses militärisch auszuschalten, bevor Russland in der Lage war, einzugreifen.
Kaiser Wilhelm II. sprach sich gegen einen solchen Präventivschlag aus. In der Denk-schrift Teil I heißt es: "Sicher ist, dass Österreich sich mit dem Entstehen neuer Militär-mächte auf dem Balkan abzufinden haben wird. Eine Verstärkung seiner Wehrkraft erscheint unabweisbar nötig."
Der Inspekteur der k.u.k. Armee, der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, rang sich ebenfalls zu einer Stellungnahme gegen einen Präventivschlag durch und positionierte sich gegen eine Eroberung Serbiens.
Aus einem Teil der Konkursmasse des Osmanischen Reiches in Europa gründeten die Mittelmächte Deutsches Reich und Österreich-Ungarn 1912 einen neuen Staat, Albanien, um Serbien nicht allein das Feld zu überlassen. Der Staat erlangte inter-nationale Anerkennung und besteht bis heute. Im Ersten Weltkrieg wurde er Ziel einer Aufteilung unter seine Nachbarstaaten. Sie wurden vom Britischen Empire unterstützt, siehe Londoner Protokoll vom 26. April 1915 (Geheimvertrag mit Italien, um dessen Eintritt in den 1. Weltkrieg auf Seiten der Alliierten zu erlangen).
1912 wurde der Frieden gerettet, – die Frage aber, wie Österreich-Ungarn einen Zwei-frontenkrieg meistern sollte, blieb ungelöst. 1914 ergab sich der Zweifrontenkrieg aus dem Gang der Ereignisse: Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien mit Teil-mobilmachung von 24 Divisionen; russische Generalmobilmachung von 112 Divisionen; Generalmobilmachung Österreich-Ungarns; Anhalten von 12 für Serbien bestimmten Divisionen in Ungarn und Umlenken nach Galizien.
Bemerkenswert ist, dass der deutsche Generalstabchef bereits im Dezember 1912 von der Abicht der k.u.k. Monarchie wusste, bei einem Krieg mit Russland ein Viertel ihrer Streitkräfte gegen Serbien bereit zu halten. Unmittelbare Konsequenzen zog General v. Moltke offenbar nicht.
6.5 Dass mit einer Teilnahme Rumäniens an einem künftigen Krieg auf Seiten der Mittel-mächte nicht zu rechnen war, erkannte v. Moltke selbst im Jahre 1913.
6.6 Die Planungen der Generalstabchefs v. Conrad und v. Moltke waren gegensätzlich.
General v. Conrad wollte einzelne Armeen des russischen Heeres so früh wie möglich angreifen und schlagen, bevor dieses seine Versammlung insgesamt beendet hatte. Liddell Hart schreibt (History of the First World War – Chapter IV Scene 3)
„It was calculated that the Russians would have thirty-one divisions on the Austrian front by the twentieth day of mobilization (August 18th) rising to fifty-two by the thirtieth day. Conrad counted on having available a force equal to the Russians by the first date, whereas he would be in an inferiority of 3 to 4 by the second…”
Für General v. Conrad war der sofortige Angriff die einzige Chance, welche die k.u.k. Armee gegenüber der späteren zahlenmäßigen russischen Übermacht hatte.
General v. Moltkes Friedensplanung sah vor, dass die 8. Deutsche Armee, die in Ost-preußen aufzumarschieren hatte (sie bestand aus ost- und westpreußischen Einheiten), sich vor der zu erwartenden russischen Übermacht nach Westpreußen hinter die Weichsel mit ihren Festungen zurückziehen und dort das Eintreffen von Verstärkungen aus dem Westen abwarten sollte. Zu gegebener Zeit sollte dann ein Gegenangriff erfolgen und Ostpreußen zurückerobert werden. In der deutschen militärischen Vorkriegsplanung gehört beides zusammen: Der Angriff im Westen und der Rückzug im
(Fortsetzung folgt)