Deutsches Heer - Zweites Deutsches Kaiserreich Eckhard Karlitzky Aufsätze und Aufsatz-Fragmente
Deutsches Heer - Zweites Deutsches KaiserreichEckhard KarlitzkyAufsätze und Aufsatz-Fragmente

Kriegsformation - Rückbau von Armeekorps und Errichtung von Reservekorps

Einleitung

 

Um die Kriegsformation des Heeres aus der Friedensgliederung zu entwickeln, mußten  die im Frieden bestehenden Truppen auf Kriegsfuß gebracht und außerdem zahlreiche Truppeneinheiten neu aufgestellt werden. Insgesamt bedeutete dies eine Vervierfachung oder sogar Verfünffachung der Friedensstärke. Dieses Heer war dann das Werkzeug, das die politische Führung des Reiches dem Kaiser als Oberbefehlshaber und dem von ihm bestimmten Generalstabchef, der für ihn die militärischen Operationen leiten sollte, für die Kriegführung zur Verfügung stellte.

 

Zuständig für die Gestaltung der Friedensgliederung wie der Kriegs-formation des Heeres waren die Kriegsminister der Bundesstaaten, welche dem Deutschen Heere Kontingente stellten,  Bayern, Preußen, Sachsen und Württemberg, jeweils für ihr Kontingent. Ihre Befugnisse ergaben sich aus der Verfassung des jeweiligen Bundesstaates. Federführend war der preußische Kriegsminister, er brauchte aber die Abstimmung mit seinen Kollegen in den anderen Bundesstaaten.

 

Es war  die Aufgabe des preußischen Kriegsministers, eine Konzeption für die Gestaltung des Heeres zu entwerfen, wie es im Kriegsfall seinen Gegnern gegenüber erfolgreich sein konnte. Die dafür notwendige Prognose lag in seiner Verantwortung. Der Kriegsminister hatte Gestal-tungsmöglichkeiten; er konnte dabei politische Gesichtspunkte - etwa: was läßt sich im Reichstag am ehesten durchsetzen? - berücksichtigen. Der Kriegsminister hatte auch die Frage zu beantworten, wie das Heer auszugestalten war, um einen Zweifrontenkrieg zu bestehen.  Mit einem solchen war aufgrund der in Europa bestehenden Bündnissysteme zu rechnen. bestehenden Die einzige Konzeption, die sich im I. Anlagen- band des Reichsarchivs  "Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft" dafür findet, stammt von General Mudra in seiner Eigenschaft als General-Inspekteur  der Festungen und der Pioniere. Von den Kriegsministern ist dort keine Antwort darauf zu finden.

 

Zuständig und verantwortlich (rechtlich wie politisch) für das Deutsche Heer als Ganzes war allein der Reichskanzler. An die Vorgaben der Kriegs-minister war er nicht gebunden, dem Kriegsminister v. Heeringen wurden mehr als einmal  von ihm beantragte Kostenpositionen gestrichen.  Es unterlag allein der Eentscheidung des Reichskanzlers,  was er dem Gesetzgeber vorschlagen wollte. Das galt natürlich erst recht für Änderungen der Friedenspräsenzstärke des Heeres, falls der Kriegs-minister solche haben wollte.  Schwierig war es für einen Reichskanzler, der kein Berufsmilitär war, gegen den Widerstand des Kriegsministers von ihm eine Heeresvorlage zu dessen Verstärkung zu erreichen. Der Reichskanzler v. Bülow scheiterte mit einem solchen Wunsch gegenüber dem Kriegsminister v. Einem, und bei der Heeresreform 1912 hatte die Reichsleitung Mühe, den grundsätzlichen Widerstand des Kriegsministers v. Heeringen zu überwinden. In einem solchen Fall kam es wesentlich auf die Haltung des Kaisers an.

 

Der Generalstabchef des Deutschen Heeres besaß keine rechtliche Zuständigkeit für dessen Gestaltung. In der Reichsverfassung kam er nicht vor, es sei denn mittelbar, indem dem Kaiser der Oberbefehl über das Heer zugesprochen wurde.   Es konnte ihm aber nicht gleichgültig sein, wie das von ihm möglicherweise dereinst im Krieg zu handhabende Werkzeug gestaltet wurde, hingen doch davon Sieg oder Niederlage ab. Er hatte seine Wünsche und Vorschläge  dem Kriegsminister vorzutragen, insbesondere in Form eines Antrags. Damit war jedoch kein förmliches Verfahren verbunden. Die Befugnisse des Generalstabchefs gegenüber dem Kriegsministerium waren nicht rechtlich festgelegt, sondern ergaben sich aus Brauch und Herkommen. Ob sich der Kriegsminister daran hielt, lag allein bei ihm.   Selbst auf einen Antrag reagierte der  Kriegsminister nicht immer. Die Denkschrift, die der Generalstabchef am 21.12.1912 an den Reichskanzler richtete, war kein Antrag an das Kriegsministerium. Dessen war sich Moltke genau bewußt. Er suchte eine Verständigung mit dem Kriegsminister. Die Denkschrift sollte die Grundlage dafür bilden.

 

Die Kriegsformationen hatte der Generalstabchef jeweils zum 01. April eines Jahres beim Kriegsministerium zu beantragen. Der Generalstabchef wurde angehört - soweit es der Kriegsminister wollte, und dieser entschied. Sachliche Erörterungen zwischen Kriegsministerium und Generalstab mit oftmals gegensätzlichen Standpunkten waren geeignete Wege zur Erarbeitung von (Kompromiß-) Lösungen. General v. Schlieffen wurde vom Kriegsminister v. Einem übergangen, der entgegen der Auffassung des Generalstabchefs entschied. In den Jahren vor 1914 bildete sich eine Rollenverteilung eigener Art heraus. Der Generalstab stellte häufig Forderungen und der Kriegsminister lehnte diese oftmals ab, entwickelte aber keine eigene Konzeption, wie das Heer für einen Erfolg im Krieg gestaltet werden sollte. Damit wurde er seiner rechtlichen Verantwortlichkeit nicht gerecht. Das Problem blieb ungelöst liegen.

 

Mitbeteiligt an der Gestaltung des Heeres waren die Waffenbehörden des Heeres und die Generalinspekteure als Fachleute für Qualitätssicherung. Die Vorschläge und Anregungen aus ihren Berichten griff bisweilen der Generalstab auf und unterstützte sie beim Kriegsministerium. Es war eher die Regel als die Ausnahme, dass mit Argumenten um Lösungen gerungen wurde.

 

Nicht zuletzt waren die Kommandierenden Generäle der Armeekorps bei der Gestaltung des Heeres anzuhören.  

 

Vorweg ist festzustellen, dass von einer einheitlichen Organisations-struktur in der Kriegsformation 1914 keine Rede sein kann. Bisweilen sind aktive (= im Frieden bestehende) Einheiten und Reserveformationen vermischt. Das erschwert den Vergleich mit der Friedensgliederung.

 

 

Mobilmachung

 

Der Übergang von der Friedensgliederung des Heeres in seine Kriegs-formation vollzog sich im Wege der sogenannten Mobilmachung.

 

1. Begriff der Mobilmachung

 

    Man hat zu unterscheiden:

 

  • Die im Frieden vorhandenen Armeekorps mussten auf Kriegsfuß gebracht werden. Die Einheiten wurden durch Reservisten verstärkt, es wurden Versorgungseinheiten wie Verpflegungskolonnen und Munitionskolonnen neu aufgestellt (die im Frieden nicht existierten) und vieles andere mehr. Als Faustregel mag gelten, dass der Mannschaftsbestand verdoppelt werden musste.

 

  • Es wurden zahlreiche weitere Verbände neu aufgestellt, die im Frieden nicht existierten, so mehrere Reservekorps, ein Landwehrkorps, eine Landwehrdivision, mehrere Landwehrbrigaden, Landsturmeinheiten, Ersatzbataillone und vieles andere mehr.

 

General Ludendorff beschreibt den Vorgang (Werdegang S. 71/72) wie folgt:

 

  • Die Mobilmachung bestand in der Überführung der im Frieden beste-henden Kommandobehörden und Truppen aus der Friedensstärke, die in den meisten Fällen geringer war als die Kriegsstärke, in diese und ihre Ausstattung mit Munition, Kriegsgerät und Kriegsbedürfnissen aller Art, wie Kriegsverpflegung, eiserne Portionen und Rationen, Sanitäts-ausrüstung, Pferde und Fahrzeuge usw."

 

Die Armeekorps hatten ferner "zahlreiche Neuformationen (aufzustellen), durch die erst eine kriegsmäßige Verwendung der Friedenstruppen der Armeekorps ermöglicht werden sollte.... es (bedurfte) einer großen Anzahl von Munitionskolonnen für alle Waffen,  von Sanitätskompanien und Feldlazaretten, von Verpflegung- und Feldbäckereikolonnen usw., ...  aber solche Einrichtungen (waren) im Friedensstand der Armeekorps nicht vor- handen..."

 

  • "Außerdem waren noch zahlreiche Truppenbehörden und Truppen-verbände an Reserve-, Landwehr- und Landsturmformationen und über- dies noch Etappen-, Eisenbahn-, Belagerung- und Festungformationen mobil aufzustellen, aber auch Formationen für das in der Heimat verbleibende Besatzungsheer, aus Militärbehörden und Ersatztruppen-teilen bestehend, zu bilden."

Diese Einheiten existierten im Frieden nicht.

 

 

2. Vorbereitung der Mobilmachung im Frieden

 

    General Ludendorff schreibt:

 

"Im November jeden Jahres gab das Kriegsministerium nach Rücksprache mit dem Chef des Generalstabes der Armee seine Mobilmachung-bestimmungen heraus, die den Vorarbeiten (der Armeekorps) für die Mobilmachung des nächsten Jahres zu Grunde lagen. Diese Bestimmungen enthielten die Weisung, welche Formationen das Armeekorps an Feld-, -Reserve-, Landwehr-, Landsturm- und Ersatztruppen in allen Waffengattungen, welche Kommando-und Etappenbehörden, welche Eisenbahn-, Festung-, Belagerung- und Etappenformationen usw. mobil zu machen oder sonst als immobil aufzustellen hätte, sei es allein oder unter Mitwirkung der Generalinspektionen usw."

 

"Die Mobilmachungvorarbeiten (der einzelnen Armeekorps) begannen Mitte November und mußten so weit gefördert sein, dass bis Ende März folgenden Jahres auch von Truppen und Bezirkskommandos die letzten vorbereitenden Maßnahmen getroffen waren. Am 1. April traten dann die neuen Mobilmachungvorarbeiten für eine im Laufe des Jahres bis zum 31. März des nächsten Jahres ausgesprochene Mobilmachung in Kraft. Die bisher gültigen Mobilmachung-vorarbeiten fielen der Vernichtung anheim. Berge von Akten peinlichster Arbeit gingen dann in den Schornstein....

 

Den Mobilmachungvorarbeiten lag  der auf viele Jahre hinaus gültige "Mobilmachungsplan nebst Stärkenachweisungen" zugrunde. Er gab für jede einzelnen Kommandobehörde und Truppe und jede Formation, ob sie im Frieden bestand oder erst in der Mobilmachung aufgestellt wurde, war gleich, genaue Anweisung über die Zusammensetzung und Stärken bis ins einzelne, die Einberufung der Offiziere und Mannschaften des Beurlaubtenstandes, die Abgaben des Friedensstandes, die Aushebung von Pferden und Fahrzeugen und über Bekleidung, Bewaffnung und Kriegsausrüstung. Nichts war außer acht gelassen, was irgendwie die Kriegsverwendungsfähigkeit der Behörden und Truppen in ihrer reichen Mannigfaltigkeit zur Lösung auch für Sonderaufgaben im Getriebe der Kriegführung nur im entferntesten berührte."

 

Ludendorff stellt dann die im Frieden zu leistenden Mobilmachung-vorarbeiten am Beispiel des V. Armeekorps in Posen dar. Er erläutert in allgemein verständlicher Weise den Unterschied zwischen der Friedens-gliederung und der Kriegsgliederung des Armeekorps. Man erfährt Einzelheiten über die Vielzahl der im Kriegsfall aufzustellenden Reserve- und Landwehrformationen.

 

 

3. Anordnung der Mobilmachung

 

Die Mobilmachung war vom Kaiser als dem Oberbefehlshaber des Heeres anzuordnen und war in zwei Stufen vorgesehen:

 

1. Stufe:  "Zustand drohender Kriegsgefahr"

Diese "Weisung bedeutete, alle Vorkehrungen, die für den Mobil-machungfall vorgesehen waren, sofort einzuleiten, an der Grenze Sicherungsmaßnahmen nach den schon im Frieden herausgegebenen Weisungen des Chef des Generalstabes der Armee aufzustellen und bestimmte Eisenbahnkunstbauten und auch wichtige Sprengstofflager zu sichern."

(Ludendorff, Werdegang, Seite 84).

Dazu gehörte auch die Verlegung von Truppen aus dem Reichsinneren in die Grenzprovinzen.

 

2. Stufe: Anordnung der Mobilmachung von Heer und Flotte

Sie wurde am 01. August 1914 um 18.00 Uhr  ausgesprochen und der 02. August 1914 als der erste Mobilmachungstag bestimmt.

 

Sie "war die erste Kriegshandlung und bildete die Grundlage für dessen (des Heeres) Kriegsverwendung. Von ihrer rechtzeitigen Beendigung hing der rechtzeitige Beginn des Aufmarsches und hiervon wieder der der Operationen ab..." (General Ludendorff).

 

 

Armeekorps in der Kriegsformation

 

Die Veröffentlichung des Reichsarchivs Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, I. Anlagen Dritter Teil Tabellen und Skizzen" enthält Aufstellungen über die Kriegsformation des Heeres für verschiedene Jahre. Sie erlauben es, deren Entwicklung nachzuvollziehen. Für die Armeekorps in der Kriegsformation ergibt sich folgendes Bild:

 

1. Die Kriegsformation des Jahres 1902 beinhaltete

 

- 23 Armeekorps, die bereits im Frieden bestanden

- 4 Armeekorps, die aus im Frieden bestehenden Infanterieeinheiten neu zu bilden waren,

nämlich das XX., XXI., XXII. und XXIII. Armeekorps

- das Garde-Reserve-Korps, bestehend aus 1 Division, die aus im Frieden bestehenden Infanterieeinheiten neu zu bilden war, und einer ebenfalls neu zu bildenden (1. Garde-)Reservedivision mit 4 Reserveregimentern zu je 3 Bataillonen,

 

insgesamt 28 Armeekorps mit 56 Divisionen oder 112 Brigaden oder 221 Regimentern oder 664 Bataillonen plus 19 Jäger-Bataillonen

 

Die Armeekorps haben einheitlich ein jedes 24 Bataillone, es gibt jedoch noch einige Lücken, d.h. Armeekorps mit lediglich 21 Bataillonen. Sämtliche im Frieden bestehende Infanterieeinheiten sind in Armeekorps eingestellt. Da in der Friedensgliederung mehrere Armeekorps über 24 Bataillone zählten ("überzählige Brigaden und Regimenter", siehe Anlage 3 zu Aufsatz 1), sollten, soweit zur Herstellung der einheitlichen Anzahl von 24 Bataillonen erforderlich, neue Armeekorps gebildet  werden. Das waren dann das XX. bis XXIII. Armeekorps.

 

Dem General v. Goßler (Kriegsminister von 1896 bis 1903) war es darum gegangen, zuerst für die Kriegsformation der Armeekorps eine einheitliche Organisationsstruktur herzustellen. Die Kriegsformation 1902 mit ihren 28 Armeekorps zeigt, dass ihm dies gelungen war. Ein entsprechender Ausbau  der Friedensorganisation konnte in den nächsten Jahren folgen.

 

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass beim II. Bayer. Armeekorps 2 Reserveregimenter mit insgesamt 7 Bataillonen Verwendung fanden.  Sie sind in den obigen Zahlen mit enthalten.

 

 

2. Die Kriegsformation des Jahres 1913/1914 beinhaltete

 

- 25 Armeekorps, die bereits im Frieden bestanden, darunter das XX. und XXI. Armeekorps (seit 1912)

- das Garde-Reserve-Korps, bestehend aus 1 Division, die aus im Frieden bestehenden Infanterieeinheiten neu zu bilden war, und einer ebenfalls neu zu bildenden (1. Garde-)Reservedivision mit 4 Reserveregimentern zu je 3 Bataillonen,

 

insgesamt 26 Armeekorps mit 52 Divisionen oder 105 Brigaden oder 211 Regimentern oder 633 Bataillonen plus 21 Jäger-Bataillone

 

Die Armeekorps haben einheitlich ein jedes 24 Bataillone, jedoch das XIV. Armeekorps 30 Bataillone und das XXI. Armeekorps 27 Bataillone. Die Lücken in den Armeekorps sind geschlossen. Die im Frieden bestehenden Armeekorps geben im Kriegsfall 11 Regimenter mit 33 Bataillonen an Reservekorps bzw. Reservedivisionen ab ("überzählige Brigaden und Regimenter").

 

Die mit der Aufstellung neuer Armeekorps im Kriegsfall verbundenen Schwierigkeiten werden  dadurch vermieden, dass solche nicht mehr erfol- gen. Das war freilich eine eigenartige Weise, Probleme zu lösen.

 

 

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass beim II. Bayer. Armeekorps 2 Reserveregimenter mit je 3 Bataillonen Verwendung fanden.  Sie sind in den obigen Zahlen mit enthalten.

 

3. Der Weg von der Kriegsformation 1902 zu der des Jahres 1913/1914  ist in der Anlage 1 zu diesem Aufsatz  dargestellt. Der Vergleich zeigt:

 

Es hat ein Rückbau von Armeekorps stattgefunden. Ihre Anzahl wurde um 2 vermindert. Es gibt kein XXII. und XXIII. Armeekorps mehr. Die Anzahl der Divisionen wurde um 4 vermindert, die der Regimenter um 10, die der Bataillone um 31.

 

Ein wesentlicher Grund für den Wegfall der beiden Armeekorps war, dass die Beschaffung der für die vier neu aufzustellenden Armeekorps erforderlichen Feldartillerie auf Schwierigkeiten stieß. Sie konnte im Jahr 1902 nur aus den Reservetruppen und durch teilweise Reduzierung der Artillerie der übrigen Armeekorps gewonnen werden. Das war uner- wünscht. Eine Abhilfe hätte allein durch entsprechende Neuaufstellungen in der Friedensgliederung des Heeres  geschaffen werden können. Das Kriegsministerium hielt dies der Kosten wegen für ausgeschlossen - oder sollte man eher sagen: für politisch nicht durchsetzbar? Daher entschied der Kriegsminister, zwei der neu aufzustellenden Armeekorps in der Kriegsformation wieder wegfallen zu lassen.

 

Die detaillierten Ausführungen des Reichsarchivs im I. Anlageband "Von der Jahrhundertwende bis 1911", soweit es um die Feldartillerie und ihre Munitionsausstattung geht, zeigen überdeutlich die Schwäche des Deutschen Heeres, was seine materielle Ausstattung angeht. Es bestand Mangel an Artillerie und Munition. 

 

Darüber hinaus hatte die französische Armee bei der Formierung der Artillerie einen strukturellen Vorteil. Sie formierte ihre Batterien zu je 4 Geschützen anstatt zu je 6 Geschützen wie die deutsche Artillerie. Eine solche Maßnahme wurde beim deutschen Militär sowohl wegen der Kosten als auch wegen der organisatorischen Schwierigkeiten für ausgeschlossen gehalten. Man beruhigte sich damit, dass dies nicht erforderlich sei. Nur bei der schweren Artillerie gab man zu, dass die Formierung der Batterien zu 4 Geschützen vorteilhaft sei.

 

Auf die qualitative Überlegenheit der französischen Feldartillerie, was Treffsicherheit und Feuerleitung anging, sei hingewiesen. Anscheinend war die deutsche Feldartillerie, was den Übergang zu indirektem Feuer anging, nicht auf der Höhe der Zeit und besaß auch nicht die dafür erforderliche Ausrüstung.

 

3. Unter dem Kriegsminister General v. Einem (1903 - 1909) wurde die Kriegsformation durch den Wegfall des XXII. und XXIII. Armeekorps zu- rückgebaut, siehe vorstehend, und der Ausbau der Friedensorganisation eingestellt. Bis zum Kriegsausbruch 1914 wurde keine der Kriegsformation 1902 entsprechende einheitliche Organisation der aktiven Infanterie-einheiten mehr erreicht. General v. Einem hielt die Heeresorganisation trotz bestehender Lücken für abgeschlossen und die Neuaufstellung der beiden Armeekorps für überflüssig. Die Qualität der verbleibenden 25 Armeekorps gleiche dies aus.

 

4. Das XX. und XXI. Armeekorps, die seit 1898 in der Kriegsformation vor- gesehen waren,  wurden (erst) im Jahr 1912 unter dem Kriegsminister v. Heeringen zu vollwertigen bzw. vollständigen Friedens-Armeekorps ausgebaut. Insbesondere erhielten die beiden neu gebildeten Divisionen, die in dieseArmeekorps aufgenommen wurden, die fehlenden 24 Batterien fahrende Feldartillerie. Bei Kriegsausbruch konnten die beiden Korps dann in die Kriegsformation des Heeres übernommen werden. Ebenfalls von 1912 auf 1913 wurden die Lücken in der bayerischen Feldartillerie geschlossen.

 

 

5. Aus den überzähligen Brigaden und Regimentern - Anlage 3 zu Aufsatz 1 - konnte man im Kriegsfall zusätzliche Divisionen und Korps bilden, entsprechende Vorbereitung im Frieden vorausgesetzt, oder man konnte sie in Reservedivisionen einstellen. Das erstere war die Lösung von 1902 (Aufstellung 2er zusätzlicher Armeekorps, also XXII. und XXIII. Armee-korps) gewesen, das letztere war die Lösung von 1914 (11 Regimenter fanden in Reserve-Divisionen bzw. -Korps Verwendung, siehe Anlage 2 zu diesem Aufsatz). Darauf ist im folgenden einzugehen.

 

Reservekorps

 

Die Veröffentlichung des Reichsarchivs Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, I. Anlagen Dritter Teil Tabellen und Skizzen" enthält Aufstellungen über die Kriegsformation des Heeres für verschiedene Jahre. Sie erlauben es, deren Entwicklung nachzuvollziehen. Für die Reservekorps bzw. Reservedivisionen in der Kriegsformation ergibt sich folgendes Bild, jeweils ohne Berück-sichtigung der 1. Garde-Reserve-Division:

 

1. Im Jahre 1902 beinhaltete die Kriegsformation an Reservekorps bzw. an Reservedivisionen)

 

218 Reservebataillone (plus 15 Jäger-Bataillone)

oder 78 Reserve-Regimenter oder 39 Reserve-Brigaden oder 19 Reserve-divisionen (teilweise ohne Divisionsstäbe), davon 9 in 5 Reservekorps zusammengefaßt.

 

Die meisten Reserveregimenter hatten 3 Bataillone, ein Teil von ihnen jedoch nur 2 Bataillone.

 

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass beim II. Bayer. Armeekorps 2 Reserveregimenter mit insgesamt 7 Bataillonen Verwendung fanden.  Sie sind in den obigen Zahlen nicht mit enthalten.

 

Die Reservekorps bzw. -Divisionen waren weder in ihrer Führungsebene noch von ihrer zahlenmäßigen Stärke her noch von ihrer Ausrüstung her mit den aktiven Divisionen und Armeekorps vergleichbar. Erschwerend kam hinzu, dass für die Reserve-Divisionen nur wenig Feldartillerie übrig blieb. Da bei den Armeekorps die Ausstattung mit Feldartillerie lückenhaft war, sollten bei ihnen im Kriegsfall Reserve-Formationen und -Kolonnen herangezogen werden, die dann bei den Reserve-Divisionen fehlten.  

 

Den Zustand der Reservedivisionen im Jahre 1904 beschreibt General Ludendorff in seiner Autobiographie (Werdegang S. 101) so:

 

"Es  gab eine Reihe von Reservedivisionen verschiedenartiger Zusammen-setzungen, dabei einzelne  mit "verstärkten"  Stäben, einem ganz unge- nügenden Ersatz von Generalkommandos, die über den Divisionen stehen, während die verstärkten Stäbe halb Generalkommando, halb Divisions-kommando, also eine unglückselige Halbheit waren. Damit war eine einheitliche Führung zweier Divisionen nicht gesichert. Auch auf die mangelhafte Ausstattung der Reservetruppen mit Kolonnen und Trains wies ich hin. Sie entsprach in keiner Weise ihrer zu erwartenden, kriegs-mäßigen Verwendung".

 

Als Beispiel möge das V. Armeekorps dienen. In seiner Kriegsgliederung verfügte es über 6 Proviant-Kolonnen. Das V. Reservekorps verfügte über 2 Reserve-Proviant-Kolonnen. Die Ausstattung der Reservekorps mit Munitionskolonnen war ebenfalls völlig unzureichend.

 

2. Im Jahre 1913/1914 beinhaltete die Kriegsformation an Reservekorps bzw. an Reservedivisionen

 

281 Reservebataillone

  33 aktive - bereits im Frieden bestehende Infanteriebataillone

insgesamt 314 Bataillone (plus 15 Jäger-Bataillone)

 

diese zusammengefaßt in

96 Reserve-Regimentern

11 aktiven Regimentern

insgesamt 107 Regimentern

 

diese zusammengefaßt in 54 Brigaden

diese zusammengefaßt in  27 Divisionen

diese zusammengefaßt in 13 Reservekorps (zuzüglich 1 Reserve-Division, der 3. Reservedivision in Ostpreußen, die außerhalb eines Korpsverbandes verblieb).

Die Verteilung der aktiven Regimenter auf die einzelnen Reservekorps zeigt die Anlage 2 zu diesem Aufsatz.

 

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass beim II. Bayer. Armeekorps 2 Reserveregimenter mit je 3 Bataillonen Verwendung fanden.  Sie sind in den obigen Zahlen nicht mit enthalten.

 

Die Reserveregimenter hatten in der Regel 3 Bataillone, die Anzahl der Regimenter mit nur 2 Bataillonen hatte sich auf 10 vermindert. 29 Reserveregimenter besaßen noch keine Maschinengewehre. Eine gleich-mäßige Gliederung aller Reserve-Brigaden war noch nicht erreicht worden.

 

Auf Verlangen des Generalstabs (Schreiben an das Kriegsministerium vom 11. März 1909) waren durchgehend Reserve-Generalkommandos gebildet worden, um eine einheitliche generalstabsmäßige Führung der Reserve-formationen sicherzustellen.

 

Das Reichsarchiv "Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, I. Anlagen Zweiter Teil Seite 428" schreibt

- Zitat -

 

"Die Schließung der Lücken in der Friedensorganisation (der Feldartillerie im Jahre 1912) sowie das Freiwerden von Feldkanonen (da durch leichte Feldhaubitzen ersetzt) hatte endlich eine, bis Kriegsbeginn freilich erst geringe Vermehrung der Reserve-Feldartillerie ermöglicht...   Die Ausstattung der großen Mehrzahl der Reserve-Divisionen mit nur einem  Regiment (sechs fahrende Batterien) blieb jedoch noch immer um die Hälfte hinter der der aktiven Divisionen und damit hinter den wiederholten Forderungen des Generalstabes zurück, der mindestens neun Batterien, darunter drei Haubitz-Batterien, für jede Reserve-Division als unbedingt notwendig bezeichnet hatte. Mit leichten Haubitzen waren bei Kriegsbeginn überhaupt erst zwei Reserve-Abteilungen bewaffnet.... Die Ausstattung der Reserveverbände mit Kolonnen wies ebenfalls noch mancherlei Lücken auf."

-Zitat Ende-

 

Proviant-Kolonnen fehlten bei einigen Reservekorps vollständig, teilweise hatten sie ein bis drei Reserve-Proviant-Kolonnen.

 

Auch im Übrigen  hatten die Reservedivisionen nicht die für den Kampf in vorderster Linie notwendige Ausrüstung. General Ludendorff gibt als Beispiel an, dass die aktiven Regimenter Wagen mit Schanzzeug bei sich führten, dass aber die Reserve-Regimenter keine solchen Wagen hatten, und bezeichnet dies als "schweres Unterlassen, nicht minder die zögernde Einführung der Feldküchen" (Werdegang Seite 139).völlig unzureichend.

 

3. Ein Vergleich der Kriegsfomation des Jahres 1913/1914 mit der von 1902 zeigt:

  • In der Kriegsformation 1913/1914 sind Reserveregimenter und Reserve-Brigaden teilweise mit aktiven Regimentern und aktiven Brigaden vermischt und mit ihnen zusammen  zu Reservedivisionen und -korps zusammengefasst. Ihr Anteil in diesen beträgt im Durchschnitt mehr als 10 %. In der Kriegsformation 1902 waren in den Reservedivisionen keine aktiven Infanterieeinheiten enthalten gewesen.

 

Damit hatte sich die Billig-Lösung des Generals v. Einem, verglichen mit einem Ausbau der überzähligen Infanterie-Truppeneinheiten zu aktiven Divisionen und Armeekorps, endgültig durchgesetzt. Denn, wie vorstehend beschrieben, hatten die Reservedivisionen und -korps im Regelfalle nur die Hälfte der Artillerie der aktiven Divisionen und Armeekorps und auch nicht deren Ausrüstung. Die Kosten konnten daher vergleichsweise niedrig gehalten werden.

 

In den Augen des Generalstabchefs von Schlieffen (bis 31.12.1905 war dies eine organisatorische Fehlentscheidung und eine Schwächung des Heeres.

 

  • Die Anzahl der Reservedivisionen betrug bei Kriegsausbruch 1914 über die Hälfte der Divisionen in Armeekorps. 1902 war es ein Drittel gewesen. Es hat eine Gewichtsverlagerung hin zu Reservedivisionen in einem Ausmaß stattgefunden, das man als militärisch ungesund bezeichnen darf.

 

  • Die 8 neuen Reservedivisionen lassen sich teilweise begreifen als Ausgleich für den Wegfall des XXII. und XXIII. Armeekorps, teilweise liegt aber in ihnen eine Erhöhung der Kriegsstärke des Heeres gegen- über 1902 vor. Es war

 

eine Erhöhung der Kriegsstärke "durch die Hintertür",

 

da sich die Friedenspräsenzstärke des Heeres dadurch nicht änderte. Sie  erfolgte auf Verlangen des Generalstabs, dem angesichts der strikten Ablehnung des Kriegsministers v. Einem, die Kriegsstärke durch Armeekorps zu erhöhen,  nichts anderes übrig blieb, als auf Reservekorps zu setzen bzw. solche anzufordern.

  • Für den Kriegsminister lag der Vorteil  der Reservedivisionen darin, dass er  für sie keine Heeresvorlage an den Gesetzgeber brauchte. Soweit Sachkosten entstanden, brauchte er zwar die Zustimmung des Gesetzgebers;  diese war aber im Rahmen des alljährlichen Haushalts- planes zu erteilen, für den ohnehin die Zustimmung des Gesetz-gebers notwendig war. Entsprechendes gilt für eventuelle Erhöhungen der Planstellen für Offiziere und Unteroffiziere im Staatshaushalt.

 

  • Ohne die 8 zusätzlichen Reservedivisionen wäre die militärische Lage des Reiches hoffnungslos geworden. Der Öffentlichkeit war dies nicht bewußt. Nur eine Heeresvorlage an den Gesetzgeber hätte zu einer öffentlichen Diskussion über die Heeresstärke geführt, und diese wäre dringend nötig gewesen - unabhängig von dem Ergebnis, zu dem sie geführt hätte. Die Bevölkerung wurde von der Reichsleitung über die militärische Lage im Unklaren gelassen. Die Männer, die 1914 in den Krieg zogen, wußten nicht, wie gering die Erfolgsaussichten waren.

     

  • Zu Kriegsbeginn  gab es 299 Reservebataillone. Ihre Anzahl betrug somit weniger als die Hälfte der aktiven Bataillone. Wesentlich war die Auffüllung der sogenannten "kleinen Regimenter" in den  Jahren  1912 und 1913. Durch sie wurde die Zahl der Reservebataillone deutlich vermindert. (Das Reichsarchiv rechnet auf Seite 44 unten in "Kriegs-rüstung und Kriegswirtschaft I. Anlagenband Zweiter Teil" den Reservebataillonen auch die aktiven Bataillone hinzu und kommt folgerichtig auf eine Zahl von 332 Bataillonen. Ein korrekter Sprach-gebrauch ist das nicht.)

 

  • Gleichwohl reichte die Anzahl der 5 bzw. 4 Reservistenjahrgänge nicht aus,  um diese 299 Bataillone zu bilden. Reservisten wurden auch für die Auffüllung der aktiven Bataillone im Kriegsfall sowie als Ersatzleute für die im Kriegsfall zu erwartenden Verluste an Menschenleben und Verwundeten (aber auch für die Ausfälle durch Gefangene, die der Gegner den eigenen Truppen abnahm) benötigt. Das Kriegs-ministerium hatte der vom Generalstab geforderten Neubildung von Reservedivisionen lange Zeit widersprochen, weil sie die Aufbringung des Ersatzes für die Verluste gefährdete.

 

  • Der Ausweg, der beschritten wurde, war die Einstellung von Landwehr in die Reservedivisionen. Sie bestanden überwiegend aus Landwehr I und nicht, wie der Name es hätte vermuten lassen, aus Reservisten. "Die Kriegsstärke der  Reserve-Bataillone ... bestand nach dem Stand von 1914 aus durchschnittlich ein Prozent aktiven Mannschaften, 36 bis 59 Prozent Reservisten und 63 bis 40 Prozent Landwehr I" (Reichsarchiv Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft I. Anlagenband Zweiter Teil Seite  423). Der Aufsatzverfasser meint sich zu erinnern, dass kompakte Landwehrformationen - Bataillone und Regimenter - in die Reservedivisionen eingestellt wurden; konkrete Nachweise wird man aber wohl nur in Darstellungen der Geschichte der betroffenen Einheiten finden.

 

  • Die Reservedivisionen und -korps sind somit gemischt aus aktiven Einheiten, Reserveeinheiten mit Landwehrleuten und Landwehrein- heiten. Das bedeutet, dass sie Mannschaften vom vollendeten 20. Lebensjahr bis zum vollendeten 30. oder sogar 32. Lebensjahr umfaßten. Aus militärischer Sicht ergab sich ein unterschiedlicher Leistungsstand der einzelnen Einheiten, aus denen die Divisionen bestanden. Dem Generalstabchef v. Schlieffen war bereits die Zusammenfassung von 2 Divisonen mit unterschiedlichem Leistungs- stand in einem Armeekorps ein Greuel (heutige Schreibweise: Gräuel) gewesen. Um wieviel mmehr galt dies für die Zusammenfassung von Einheiten mit unterschiedlichem Leistungsstand innerhalb einer einzigen Division. Die Einheiten mit höherem Leistungsstand - so die aktiven Regimenter und Brigaden - würden durch die Verbindung mit Einheiten eines minderen Leistungsvermögens in der Entfaltung ihres höheren Leistungsvermögens behindert. Der Generalstabsoffizier wollte einheitlich zusammengesetzte Truppenkörper haben, um die Anforderungen nicht nach dem jeweils niedrigsten Leistungsstand innerhalb der Division oder des Korps bemessen zu müssen.

 

  • Die Organisationsstruktur des Heeres war, was die Reserveformationen angeht,  - man erlaube den Ausdruck - vermurkst.

 

Abhilfe hätte die Aufstellung weiterer aktiver Formationen aus den vorhandenen überzähligen Brigaden und Regimentern und die Ausschaltung der Landwehr aus den Reserveformationen gebracht. So heißt es in der Denkschrift des Generalstabchefs vom 21.12.1912 in Teil II A Heeresverstärkung unter "Zu 3. Verbesserung der Formationen 2. Linie":

 

"Eine Verjüngung und weiterer Ausbau der bestehenden Reserveformationen unter Ausschaltung der Landwehr ist durchaus geboten. Sie wird mit der Erhöhung der Friedenspräsenz ermöglicht werden..."

 

Als geeignetes Mittel zur Abhilfe sah der Generalstab die Erhöhung des Präsenzstandes der aktiven Infanteriebataillone an. Sie erfolgte ab 01.10.2013. Sie hätte erstmals ab 1916 zusätzliche Reservisten zur Folge gehabt.

 

Die Aufstellung zusätzlicher Armeekorps war ebenfalls beantragt, wurde jedoch abgelehnt.

 

4. In der Verwendung der Reservekorps im Krieg nahm der Generalstabchef v. Schlieffen in seinen letzten Amtsjahren eine grundlegende Änderung seiner Aufmarschplanungen vor. Damit schrieb er Militärgeschichte.

 

  •    Nach der herkömmlichen Auffasung waren nur die Armeekorps für den planmäßigen Einsatz im Kriege vorgesehen. Die Reserveeinheiten wurden für den Bedarfsfall zur Unterstützung der Armeekorps in Bereitschaft gehalten und dienten zur Ergänzung der Armeekorps.

 

  •    Bei der Neuorganisation des Heeres, die der Kriegsminister v. Goßler ab 1899 begann, wollte der Generalstabchef v. Schlieffen für den Einsatz in vorderster Linie nur Armeekorps haben, die ausschließlich aus aktiven Truppen bestanden, und keine Reservedivisionen.   Die vom Kriegsminsterium vorgeschlagene Zusammenfassung von akti- ven Einheiten und Reservedivisionen in einem Armeekorps oder Reservekorps lehnte Schlieffen ab. Er forderte die zusätzliche Aufstellung von aktiven Armeekorps, zunächst für den Kriegsfall, mit der Option eines späteren Ausbaus in der Friedensformation.

 

  •     In einem eigenhändigen Schreiben an das Kriegsminsterium vom 10. November 1899 formulierte General v. Schlieffen:

   " Die Erfahrungen, welche uns eine lange Armeegeschichte bietet, lassen es aber fast unmöglich erscheinen, Landwehr- oder Reserve-truppen in erster Linie zu verwenden. Die Vermischung mit aktiven Truppen kann an der Geringwertigkeit der Landwehr oder Reserve nicht viel ändern. Alle verschiedenen Versuche und Kombinationen, welche in dieser Beziehung von 1813 bis 59 und dann wieder 1870 gemacht wurden, sind als gescheitert anzusehen..."

 

  •     Für das Jahr 1904 gibt es eine Mitteilung von General Ludendorff in seiner Autobiographie (Werdegang Seite 101).

 

  Ludendorff kam im Frühjahr 1904, im Dienstrang eines Majors stehend, in den Generalstab nach Berlin, und zwar als Chef der Ersten Sektion in der 2. Deutschen Abteilung. In dieser Eigenschaft hatte er die Aufmarschpläne zur Ausgabe an die einzelnen Truppenteile anzufertigen. Er schreibt:

 

   "... Schon auf der ersten großen Generalstabsreise war es ja ganz klar, daß General Graf v. Schlieffen die Reservetruppen gar nicht anders wie die Feldtruppen verwandte und das auch bei der Entfaltung der Heeresmächte der Feindstaaten und der Schwäche unseres Friedensheeres tun mußte..."

 

   Hier hatte sich also eine grundlegende Änderung in der Einstellung des Generalstabchefs vollzogen. Was war der Hintergrund oder die Ursache dafür?

 

  • Der Generalstabchef v. Schlieffen und ebenso sein Nachfolger v. Moltke sahen sich der Tatsache gegenüber, dass Frankreich seine Ostgrenze gegenüber Deutschland überaus stark befestigt hatte.  Diese Festungslinie von Belfort bis Verdun konnte vom Deutschen Heer mit den zur Verfügung stehenden Mitteln (Stichwort: fehlende Belagerungsartillerie) nicht erobert werden. Als der gegebene Ausweg erschien eine Umgehung dieser Festungslinie im Norden. General v. Schlieffen plante im Jahr 1905 eine weit nach Norden und Westen ausholende Umfassungsbewegung. Sie war nur möglich, wenn die Reservedivisionen wie die Armeekorps sofort zum Kampf in vorderster Linie verwendet wurden. Mit einem französischen Gegenangriff in Lothringen rechnete Schlieffen nicht.

 

  • Schlieffen prüfte diesen neuen Aufmarsch auf seiner General-stabsreise 1905. Der Aufmarsch sah eine Konzentration

 

von 54 Divisionen des deutschen Heeres nördlich von Metz

 

vor (rechter Heeresflügel). Der linke Heeresflügel marschierte  mit nur 8 Divisionen südlich von Metz und in Anlehnung an diese Festung auf.

 

"Aus diesem Aufmarsch heraus sollte der Vormarsch in Form einer Linksschwenkung unter Anlehnung an die befestigte Linie Diedenhofen - Metz derart angetreten werden, daß der rechte Flügel mit sehr starken Kräften nördlich der Linie Lüttich - Namur  vor- marschieren und dabei für das Herumschwenken des Heeres nach Süden richtunggebend sein sollte, während der überaus schwache linke Flügel aus Lothringen auf Nancy angriff...

 

General Graf v. Schlieffen rechnete damit, daß gegenüber dieser, durch das  nördliche Belgien umfassenden, Deutschen Heeresbewe- gung das französich-englische Heer, dessen  linken Flügel er weiter südlich annahm, zur Schlacht unter den ungünstigsten Verhältnissen und zum Rückzuge in südliche Richtung gezwungen würde...

 

Im November 1905 erteilte Graf v. Schlieffen kurz vor seiner Verabschiedung die  Weisungen für den Aufmarsch  1906 auf Grund der auf den Generalstabsreisen 1905  gewonnenen Erfahrungen...

 

... Nach diesen Weisungen wurde der Aufmarsch 1906707 von mir bearbeitet."

 

So schreibt General Ludendorff in seiner Autobiographie (Werdegang Seite 99/100).

                                                       

  • Im Dezember 1905 verfaßte v. Schlieffen eine Denkschrift "Krieg gegen Frankreich", in der er seine Ansichten und Einsichten ausführlich darlegte und begründete.  Diese Denkschrift übergab er seinem Nachfolger v. Moltke, der somit auf den von seinem Amts- vorgänger gewonnenen Erfahrungen aufbauen konnte. Außerdem standen Moltke die Planungen der Generalstabsreisen und Kriegsspiele Schlieffens, soweit diese einen schriftlichen Nieder-schlag etwa in Karten mit Operations- odedr Feldzugsplänen gefunden hatten, zur Verfügung. Schlieffen rechnete bei seinen theoretischen Studien mit Truppen, die noch nicht existierten. Er führte den mathematischen Nachweis, dass es unter bestimmten Annahmen möglich war, das französische Heer innerhalb weniger Wochen vernichtend zu schlagen. Die aus seinen theoretischen Studien gewonnenen Erkenntnisse flossen in seine Aufmarsch-planung mit ein. Dass diese einen militärischen Erfolg verbürgt hätte, trifft nicht zu. Dazu waren die zur Verfügung stehenden deutschen Truppen zu schwach.

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  

 

 

 

 

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