Einleitung
Die Hauptursache der deutschen Niederlage von 1914 liegt darin, dass keine ausreichende Anzahl von Formationen für den Kampf - Divisionen und Armeekorps - bereit gestellt wurde. Zum Verständnis dessen ist es sinnvoll, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was in den letzten zehn oder zwölf Vorkriegsjahren im Bereich der Heeresorganisation unterlassen wurde. Es wird sich zeigen, dass der Mangel mit geringer Mühe und vertretbarem Aufwand hätte vermieden werden können. Sein Grund liegt in einem Versagen des preußischen Kriegsministeriums auf dem Gebiet der Heeres-organisation, nicht in objektiven Verhältnissen.
Die Heeresorganisation im Frieden wurde in den Vorkriegsjahren nicht in dem erforderlichen Maße weiter entwickelt. Darüber hinaus wies das Organisationsschema in den genannten Jahren Lücken auf. Es fehlten Einheiten, die bei einer einheitlichen Heeresorganisation hätten vorhanden sein müssen. Das betraf sowohl Infanterie als auch Kavallerie und Infanterie. Hier soll vorzugsweise von der Infanterie die Rede sein.
Es wäre notwendig gewesen,
Dies geschah teilweise verspätet und teilweise bis Kriegsbeginn gar nicht.
Daraus ergab sich im Krieg eine zahlenmäßige Unterlegenheit der Formationen des Heeres gegenüber den Formationen seiner möglichen Gegner, und diese Unterlegenheit wurde zu einer Ursache für seine Niederlage von 1914.
Zu erwähnen bleibt, dass die vorstehend getroffene Unterscheidung rechtliche Bedeutung hat. Die Schaffung von Organisationseinheiten lag im Zuständigkeitsbereich des Kaisers. Die Aufstellung der Bataillone usw. bedurfte einer Bewilligung durch den Gesetzgeber.
Es wird für zweckmäßig erachtet, diesem Aufsatz eine graphische Darstellung beizugeben, die dem Leser eine Orientierung ermöglichen soll. In ihr werden die in den Vorkriegsjahren bestehenden Lücken für die Infanterie-einheiten und die ihnen übergeordneten höheren Verbände schematisch dargestellt.
Im folgenden Text sollen Erläuterungen dazu gegeben werden.
Darstellung der Organisationslücken in der Heeresorganisation vor 1914
Die Darstellung erfolgt von den militärischen Grundeinheiten aufsteigend zu den höheren Verbänden (siehe Anlage).
1.1
Die Infanteriebataillone waren die Grundlage des Heeres im Kampf. Ihre Anzahl war seit 1898 unvollständig. Es mußten neue Bataillone aufgestellt und zu diesem Zweck zusätzliche Wehrpflichtige einberufen werden. Das geschah im wesentlichen erst in den Jahren 1912 und 1913. Durch die Verspätung der Neuaufstellungen entstanden Nachteile. Sie konnten bis Kriegsbeginn 1914 nicht mehr ausgeglichen werden.
1.2
Im Jahre 1902 gab es 607 Infanteriebataillone. Sie waren in 216 Regimentern zusammengefasst. 41 Regimenter hatten 2 Bataillone (sogenannte "kleine" Regimenter), 175 Regimenter 3 Bataillone. Es war die Zielsetzung, dass alle Regimenter einheitlich 3 Bataillone haben sollten. Die fehlenden dritten Bataillone der "kleinen" Regimenter waren im Frieden neu aufzustellen. Die Neuaufstellungen geschahen wie folgt:
zum 1.10.1904 null Bataillone
zum 1.10.1905 zwei Bataillone
zum 1.10.1906 zwei Bataillone
zum 1.10.1907 zwei Bataillone
zum 1.10.1908 ein Bataillon
zum 1.10.1909 ein Bataillon
zum 1.10.1910 null Bataillone
zum 1.11.1911 null Bataillone
zum 1.10.1912 elf Bataillone
zum 1.10.1913 zweiundzwanzig Bataillone
zusammen 41 Bataillone.
1.3
Zum 1.10.1912 erhöhte sich die Anzahl der Infanteriebataillone um weitere drei, da ein beim XII. (1. Königl. Sächsischen) Armeekorps fehlendes Infanterieregiment neu aufgestellt wurde. Sie sind den zum 1.10.1912 neu aufgestellten 11 Bataillonen hinzuzurechnen. Insgesamt betrug die Anzahl der Neuaufstellungen 1912 somit 14 Bataillone. Für 1913 verblieb es bei den erwähnten 22 Bataillonen.
Somit gab es ab 1.10.1913 651 Bataillone (zuzüglich 18 bereits seit langem bestehender Jäger-Bataillone). Dabei blieb es bis Kriegsausbruch 1914.
1.4
Um die Größenordnung zu verdeutlichen, seien hier einige Zahlen genannt. Zur Aufstellung von 41 neuen Bataillonen im Frieden brauchte man schätzungsweise 11500 zusätzliche Rekruten jährlich. Bei der bestehenden zweijährigen Wehrpflicht für die Infanterie ergab sich eine Erhöhung der Friedensstärke des Heeres um ungefähr 23000 Mann. Das entsprach jeweils etwa 5 %. Hinzu kamen ungefähr 3000 Unteroffiziere und 900 Offiziere.
Als Faustgröße für die Zahl der jährlich zum Wehrdienst einberufenen Rekruten insgesamt mag die Zahl 250000 dienen (bis 1911). Bei der bestehenden zweijährigen Wehrpflicht für Infanterie und fahrende Artillerie kann daher die jährliche Zahl der jeweils im Heer Wehrdienst Leistenden in der Größenordnung von 500000 Mann angenommen werden (bis 1911).
1.5
Hierzu kommentiert der Aufsatzverfasser wie folgt:
Die Neuaufstellung der 41 fehlenden 3. Bataillone war seit dem 1.4. 1899 anhängig. Sie wurde aus finanziellen Überlegungen wiederholt hinausgeschoben. Ein Konzept für die Neuaufstellungen, was Zeit und Anzahl angeht, gab es im preußischen Kriegsministerium nicht. Bei General v. Einem, preußischer Kriegsminister von 1903 bis 1909, ist anzunehmen, dass er nicht beabsichtigte, alle 41 Bataillone neu aufzustellen. Die Neuaufstellungen des Jahres 1913 gehen auf eine Forderung des Generalstabs zurück.
Die Neuaufstellungen waren aus militärischer Sicht erforderlich. Solange sie nicht erfolgten, mußten im Kriegsfall die fehlenden Bataillone durch neu aufzustellende Reservisten-Bataillone ersetzt werden. Diesen wurde eine mindere Kampfkraft zugesprochen. Das war ein Übelstand, der rechtzeitig beseitigt hätte werden sollen.
Es war sinnvoll, die Neuaufstellungen über mehrere Jahre zu verteilen. Jedoch war die Anzahl der jährlichen Neuaufstellungen ab 1.10.1905 angesichts der benötigten Gesamtzahl von 41 Bataillonen unzureichend. Es hätte einer höheren jährlichen Anzahl bedurft, um die Neuaufstellungen in einem überschaubaren Zeitraum abzuschließen. Dass die jährlichen Neuaufstellungen so unzureichend waren, und in den Jahren 1910 und 1911 gar keine Neuaufstellungen erfolgten, war militärisch wie politisch verfehlt. Es zwang zur Nachholung der in den Vorjahren unter-bliebenen Aufstellungen in den Jahren 1912/1913.
Als Nachteile, die durch die Verspätung der Neuaufstellungen entstanden, sind zu nennen:
Je Bataillon brauchte man zumindest 18 Offiziere und 65 Unter-offiziere. Der Bedarf an geeigneten Bewerbern für die 14 + 22 neuen Bataillone konnte nicht in wenigen Monaten gedeckt werden. Im Falle einer früheren Aufstellung und gleichmäßigen Verteilung der Aufstellungen beginnend ab 1.10.1905 auf einen Zeitraum von beispielsweise 10 Jahren wäre die Bedarfsdeckung leichter möglich gewesen.
Für die Offiziersbewerber waren zusätzliche Plätze in den Kadetten-anstalten zu schaffen; es mußten neue Unteroffiziers(vor)schulen errichtet werden.
Die Heranbildung der Bewerber zum zukünftigen Ausbildungs- und Führungspersonal brauchte mehrere Jahre Zeit und hätte daher bereits Jahre früher in Angriff genommen werden müssen. Bei einem Offizier vergingen 10 - 12 Jahre Zeit, bevor er den Rang eines Hauptmanns erreichte und eine Kompanie führen durfte.
Die Aufstellung der noch fehlenden 22 Bataillone zum 1.10.1913 wird bisweilen mit der Zielsetzung einer vollständigen oder tatsächlichen Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht in Verbindung gebracht. Dies ist unrichtig. Es ging um die Herstellung einer Einheitlichkeit innerhalb der Formationen und um die Abstellung eines militärischen Mangels.
Politisch verfehlt war das Hinausschieben der Neuaufstellungen, weil ihre spätere zeitliche Zusammenballung, die unvermeidlich war, als Kriegsvor-bereitung gedeutet werden konnte. Die Neuaufstellungen hätten nicht in Abhängigkeit von oder im Zusammenhang mit einer bestimmten poli-tischen Lage vorgenommen und auch nicht so dargestellt werden sollen.
Die Anzahl der Regimenter vermehrte sich zwischen 1898 und 1914 nur um zwei Regimenter.
Seit dem 01.04.1897 gab es 215 Infanterieregimenter. Die Anzahl wurde erhöht
Dabei blieb es bis Kriegsausbruch 1914.
Hierzu kommentiert der Aufsatzverfasser wie folgt:
Es zeugt vom Weitblick des Kriegsministers Heinrich v. Goßler (1896 bis 1903), dass er im Jahr 1897 neue Infanterieregimenter in einer Anzahl errichtete, die bis 1914 nur geringer Ergänzungen bedurft hätte, um ausreichend zu sein. Zur Neuaufstellung von 3 Armeekorps, wie vom Generalstabchef am 21. Dezember 1912 gefordert, hätte man nach Meinung des Kriegsministers v. Heeringen lediglich 14 weitere Regimenter aufstellen müssen, also eine Erhöhung der Anzahl um weniger als 7 % des vorhandenen Bestandes.
Die 216 Regimenter gaben den möglichen Organisationsrahmen des Heeres vor. Aus ihnen konnten 108 Brigaden, aus diesen 54 Divisionen und aus diesen 27 Armeekorps gebildet werden. Dieser Rahmen wurde nicht ausgeschöpft.
Es fehlten zwei Brigaden als Organisationseinheiten. Das wird nicht als bedeutsam angesehen, da im Kriegsfall nachholbar.
Im Regelfall wurden zwei Regimenter wurden zu einer Brigade zusam-mengefasst. Es gab jedoch im Frieden auch Brigaden, die drei Regimenter zählten.
Im Jahr 1898 gab es 105 Brigaden, seit 1902 gab es 106 Brigaden. Die Zahl änderte sich bis 1914 nicht. Wollte man alle Brigaden im Frieden nur aus zwei Regimentern bilden, so hätte man dazu zwei weitere Brigaden in der Gliederung des Heeres gebraucht. Das hätte ausschließlich organi-satorische Maßnahmen erfordert.
Zu unterscheiden ist zwischen der Errichtung der Divisionen als Organisationseinheiten und ihrer materiellen Ausstattung.
4.1
Im Jahr 1902 fehlten in der Gliederung des Heeres sechs Divisionen (als Organisationseinheiten). Dabei wird unterstellt, dass jede Division zu 2 Brigaden oder 4 Regimentern formiert werden sollte. Das war die Kriegs-formation. Sie war bereits im Frieden anzustreben.
Die erforderlichen Infanterieeinheiten
(Infanteriebrigaden und -regimenter) existierten,
die ihnen überzuordnenden Divisionen nicht.
Die fehlenden Divisionen waren ein schwerwiegender Mangel, der im Kriegsfall eine Niederlage erwarten ließ. Ihm wurde nur teilweise abge-holfen - und die zu befürchtende Niederlage trat 1914 tatsächlich ein.
Es gab im Jahr 1902 48 Divisionen. 54 Divisionen hätten es sein bzw. werden sollen. General v. Einem, preußischer Kriegsminister von 1903 bis 1909, lehnte dies ab. Er sah die Heeresorganisation trotz der bestehenden Lücken als abgeschlossen an und fror die Friedensorganisation des Heeres auf den bei seinem Amtsantritt erreichten Stand ein. Auch nach dem Ausscheiden des Generals v. Einem aus dem Amt kam es zwei oder drei Jahre lang zu keiner Weiterentwicklung der Heeresorganisation. Es war eine Stagnation, die 8 Jahre lang andauerte.
4.2
Erst zum 1.10.1912 wurden unter General v. Heeringen, preußischer Kriegsminister von 1909 bis 1913, zwei der fehlenden sechs Divisionen
aus bestehenden Infanterie-Truppeneinheiten
(und bestehenden Kavallerieeinheiten)
neu gebildet und dadurch die Zahl der Divisionen auf 50 erhöht. Die dazu erforderlichen Umgliederungen bei verschiedenen Truppeneinheiten waren ein bedeutender Schritt zur Vereinheitlichung und Verbesserung der Heeresorganisation. Bis dahin war nur vorgesehen gewesen, die beiden Divisionen im Kriegsfall neu zu bilden. Generalstabchef v. Moltke sah diese als einen Mangel an. In einem Schreiben vom 12. April 1907 (Entwurf Oberst Stein) an den Kriegsminister v. Einem hatte er es so formuliert:
"Eine Friedensorganisation der 2ten Divisionen des XX. und XXI. Armeekorps würde die Kriegsorganisation dieser Armeekorps wesentlich verbessern...."
Diese beiden Divisionen waren es, die 1912 neu gebildet wurden.
Die beiden neuen Divisionen erhielten noch im Jahr 1912 die bis dahin nicht vorhandene Ausstattung an Artillerie (je Division 12 Batterien Feld-artillerie zu je 6 Geschützen) sowie Ausrüstung (inkl. Maschinengewehr-Kompanien). Dadurch ergab sich eine sofortige Erhöhung der Kampfkraft des Heeres. Dies war beabsichtigt - und im Hinblick auf die zahlenmäßige Schwäche des Deutschen Heeres dringend notwendig. Die nötigen Pionierbataillone und Trainbataillone wurden ebenfalls aufgestellt, siehe bei Armeekorps.
Die für die Ausstattung der Divisionen erforderliche personelle Erhöhung der Friedensstärke des Heeres war gering. Die Kosten waren bedeutend.
4.3
Die Maßnahmen unter 4. 2 waren im Hinblick auf den bestehenden Rückstand nicht ausreichend. Es hätte weiterer Neubildungen bedurft, um die noch fehlenden 4 Divisionen zu erhalten. Die zahlenmäßige Unter-legenheit des Deutschen Heeres gegenüber dem französischen Heer mit britischem Expeditionskorps hätte sich dadurch vermindert.
Die Neubildung von 2-3 weiteren der fehlenden Divisionen war in derselben Weise wie vorstehend unter 4.2 beschrieben aus bestehenden Infanterietruppeneinheiten möglich.
Es wäre ein weiterer Schritt zur Vereinheitlichung der Organisations-struktur des Heeres und zur Erhöhung der Kriegsstärke des Heeres gewesen. Um die Kampfkraft des Heeres zu erhöhen, wäre es wünschens-wert gewesen, wie vorstehend unter 4.2 beschrieben, zugleich die Artillerie und auch die Kavallerie, soweit bisher nicht vorhanden, neu aufzustellen.
Die Neubildung unterblieb, weil die Kriegsminister General v. Einem (1903 -1909), General v. Heeringen (1909 - 1913) sowie General v. Falkenhayn (1913-1915) sie nicht wollten. Die von den Kriegsministern für ihre Unterlassung angegebenen Gründe waren nicht stichhaltig, weil sie inhaltlich nicht zutrafen und dem Ernst der militärischen Lage des Reiches nicht Rechnung trugen.
Soweit die verfügbaren Infanterieeinheiten nicht ausreichten, hätte für die Neubildung von Divisionen auch die Infanterie neu aufgestellt werden müssen.
4.4
Alternativ zu der in vorstehend 4.2 beschriebenen Vorgehensweise bestand auch die Möglichkeit, die Neubildung weiterer Divisionen erst für den Kriegsfall vorzusehen.
Dies war für die 3. Garde-Division geplant und wurde 1914 bei Kriegs-beginn verwirklicht. Die hierfür erforderlichen Truppeneinheiten nebst Ausrüstung wurden bereits im Frieden bereit gestellt. Ein dazu noch fehlendes Infanterieregiment wurde bei Kriegsausbruch neu auf-gestellt. (Es gab im Frieden bei der Garde noch ein Lehr-Bataillon sowie 2 Jäger-Bataillone). Ebenso wurde eine fehlende Brigade neu formiert.
Jedoch wurde diese Verfahrensweise für weitere Divisionen nicht in Betracht gezogen.
4.5
Es gab somit bei Kriegsausbruch 1914 nur (50 + 1=) 51 vollwertige Divisionen anstatt der mit den vorhandenen Infanterieeinheiten möglichen 54 Divisionen.
5. Armeekorps
Im Jahr 1902 fehlten in der Gliederung des Heeres 4 Armeekorps (als Organisationseinheiten). Sie sollten im Kriegsfall neu gebildet werden.
Die Armeekorps waren die höchste Organisationseinheit des Heeres im Frieden. Sie zählten im Regelfalle 2 Divisionen. Im Jahr 1902 gab es jedoch 2 Armeekorps, die im Frieden 3 Divisionen zählten. Die Gliederung des Heeres war auch auf dieser Organisationsebene unein-heitlich.
Es gab im Jahr 1902 23 Armeekorps. 27 Armeekorps hätten es sein bzw. werden können.
Zwei Armeekorps wurden zum 1.10.1912 ergänzt. Jeweils 1 bestehende Division wurde mit einer der beiden neu aufgestellten Divisionen zu einem neuen Armeekorps zusammengefasst. Alle Armeekorps zählten jetzt einheitlich 2 Divisionen.
Es waren Umgliederungen von Truppeneinheiten bei insgesamt 7 Armeekorps erforderlich. Sie werden in den Anlagen 1 und 2 zu Aufsatz 4 für die Infanterie schematisch dargestellt. Das Heer wurde teilweise neu gegliedert. Auch hier gilt wie für die gleichzeitig erfolgte Neubildung der beiden Divisionen, dass dies eine Verbesserung und ein Schritt zur Vereinheitlichung der Heeresorganisation war. Diese Bedeutung wird nur selten erkannt.
Die neuen Armeekorps erhielten die notwendigen Pionier- und Train-Bataillone.
Die Bildung der beiden in der Heeresgliederung noch fehlenden Armee-korps wäre nur nötig geworden, wenn man neue Divisionen zur Schließung der bestehenden Organisationslücken hätte bilden bzw. auf-stellen wollen. Auf diese Weise wäre man einer Vereinheitlichung der Heeresorganisation einen weiteren Schritt näher gekommen.
Vorstellbar war es, eine weitere Neubildung von Armeekorps erst für den Kriegsfall vorzusehen. Vertretbar war dies aber nur, wenn die beiden Divi-sionen, aus denen ein solches Korps gebildet werden sollte, bereits im Frieden aufgestellt wurden, oder aber im Frieden alle für die Errichtung im Kriegsfall erforderlichen Einheiten nebst Ausrüstung bereit gestellt wurden.
In Erwägung gezogen wurde ein derartiges Verfahren in den Jahren 1913 und 1914 nicht.
Somit gab es bei Kriegsausbruch 1914 25 Armeekorps.
(Ende Organisationslücken)
Anhang
Die Vorstellungen von Generalstabchef v. Moltke 1912
Das Ziel des Generalstabs waren 56 Friedens-Divisionen. In der Denkschrift des Generalstabchefs v. Moltke vom 21. Dezember 1912 an den Reichskanzler wurde die Aufstellung von mindestens 3 neuen Armeekorps unter teilweiser Heranziehung bestehender Infanterie-Truppeneinheiten gefordert. Dadurch hätte sich die Anzahl der Armeekorps im Frieden auf 28 erhöht.
Die Terminologie des Generalstabchefs war unglücklich gewählt. Armee-korps wurden nicht aufgestellt, sondern bei Bedarf aus Divisionen neu gebildet oder formiert. Ein Armeekorps bestand aus 2 bis 3 Divisionen, § 3 Absatz 2 Reichsmilitärgesetz. Was neu aufgestellt werden mußte, waren die Divisionen. 3 neue Armeekorps erforderten 6 neue Divisionen zusätzlich zu den bestehenden 50 Divisionen. 2-3 Divisionen konnten aus bestehenden Infanterie-Truppeneinheiten zusammengefügt werden, siehe vorstehend bei Divisionen. Für die übrigen Divisionen hätte auch die Infanterie neu aufgestellt werden müssen.
Die Anzahl der für die 6 neuen Divisionen erforderlichen Neuaufstellungen an Infanterie reduzierte sich durch die vorhandenen Infanterieeinheiten entsprechend auf 14 Regimenter oder 42 Bataillone für 3-4 Divisionen. Der Bedarf brauchte nicht in einem Zug gedeckt zu werden. Man konnte es auch so machen wie 1897, dass man die Regimenter zunächst nur zu 2 Bataillonen formierte. Dann hätten zunächst 28 Bataillone ausgereicht.
Die für neue Divisionen erforderlichen Artillerie-, Kavallerie-, und eventuell Pionier-, Train- und Sanitätseinheiten hätte man neu aufstellen müssen. Warum es unmöglich gewesen sein soll, im Rahmen der Heeresreform 1913 - einer Milliarden-Vorlage - in dieser Hinsicht etwas zu unternehmen, ist unver-ständlich.
Begründet wurde die Forderung des Generalstabchefs mit der erheblichen zahlenmäßigen Unterlegenheit des Deutschen Heeres im Westen wie im Osten. In dem Schreiben des Generalstabchefs an den Kriegsminister vom 22.1.1913 (Entwurf Oberst Ludendorff) lautet der letzte Satz:
(Die Vermehrung) "ist von Ausschlag gebender Bedeutung für den siegreichen Ausgang des nächsten Krieges".
Das war in verklausulierter Form die Ankündigung einer Niederlage im Kriegs-fall, sofern die 3 Armeekorps nicht aufgestellt wurden. Der Kriegsminister reagierte mit der Bemerkung: "Dann hätte d. Generalstab rechtzeitig damit kommen sollen".
Nach Meinung des Kriegsministers hätte für die Forderung des General-stabchefs nach 3 neuen Armeekorps die Friedensstärke des Heeres um ungefähr 44.000 Mann zuzüglich 1900 Offiziere und 7500 Unteroffiziere erhöht werden müssen. Das dritte geforderte Armeekorps hätte wahr-scheinlich vollständig neu aufgestellt werden müssen. Die Erhöhung der Kriegsstärke des Heeres hätte zwischen 120.000 und 135.000 Mann gelegen.
Der Generalstabchef drang mit seiner Forderung nicht durch. Eine sofortige Aufstellung der geforderten 3 neuen Armeekorps (6 Divisionen) lehnte Kriegsminister v. Heeringen ab, sein Nachfolger v. Falkenhayn ebenfalls. Eine Neuaufstellung einzelner Dvisionen wurde nicht einmal in Erwägung gezogen. Die Aufstellung der Armeekorps wurde für die Zeit ab 1.4.1916 in Aussicht genommen. Das bedeutete, dass die Kriegsminister für einen Kriegsfall in den nächsten 4 oder 5 Jahren bewußt das Risiko einer Niederlage eingingen.
Die Alternative zur sofortigen Neuaufstellung hätte in einer Politik strikter Kriegsvermeidung bestehen müssen. Dies hätten Kriegsminister und General-stabchef dem Reichskanzler unmißverständlich sagen müssen.
Ergebnis
Das Deutsche Reich betrieb vor dem 1. Weltkrieg eine verfehlte Militärpolitik.
Der Organisationsrahmen des Heeres wurde acht Jahre lang, von 1904 bis 1911, nicht weiterentwickelt, obwohl dafür ein dringendes Bedürfnis bestand. Zum Jahreswechsel 1903 auf 1904 vollzog sich ein Bruch in der Militärpolitik des Reiches. General Heinrich v. Goßler, preußischer Kriegs-minister von 1896 bis 1903, hatte dem Heer neue Organisationsstrukturen geschaffen, darunter zuletzt 5 neue Divisionen. Er beabsichtigte, ab 1904 weitere 5 Divisionen als Organisationseinheiten neu zu bilden, um die Heeresreform 1893 abzuschließen. Dass innerhalb der neu geschaffenen Organisationsstrukturen nicht alle Einheiten sofort aufgestellt werden konnten - hier hatte der Gesetzgeber das entscheidende Wort -, nahm v. Goßler in Kauf. Seinem Handeln lag die militärisch zutreffende Erkenntnis zugrunde, dass sich Organi-sationsstrukturen für Truppen im Kriegsfall nicht oder nur mit erheblichem Zeitaufwand neu schaffen ließen. Sein Amtsnachfolger General Karl v. Einem brach mit dieser Politik. Er wollte keine Neubildung von Divisionen und Armeekorps. Die Bedeutung von Organisations-strukturen für den Kriegsfall begriff er nicht.
Die Radikalität, mit der v. Einem die Weiterentwicklung des Organisa-tionsrahmens des Heeres gewissermaßen von heute auf morgen einstellte, und dies ungeachtet des Widerstandes des Generalstabchefs v. Schlieffen, überrascht. Wollte man der schwierigen finanziellen Lage des Reiches Rechnung tragen, wäre eine langsamere Weiterentwicklung denkbar gewesen als sie General v. Goßler beabsichtigt hatte.
General v. Einem ging aber noch einen Schritt weiter. Er brach nicht nur die Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen ab, sondern begrenzte auch den inneren Ausbau des Heeres auf ein Mindestmaß. Dies geschah aus politischen und finanziellen Überlegungen ohne Rücksicht auf militärische Notwendigkeiten. DieFolge war ein Investitionsstau, der im Laufe der Jahre auf mehrere hundert Millionen Mark anstieg.
Als weiteres Beispiel sei die Feldartillerie genannt. Sie wurde 8 Jahre lang, von 1904 bis 1911, nicht vermehrt, obwohl bei Grenzdivisionen zwei Artillerieregimenter und bei den Bayerischen Divisionen insgesamt 12 Batterien fehlten. Die Friedensgliederung der Feldartillerie 1911 liest sich nicht anders als die des Jahres 1902 (469 fahrende Kanonen-Batterien, 42 reitende Kanonen-Batterien, 63 Batterien leichte Feldhaubitzen).
In den sieben Jahren vom 1.4.1904 bis 31.3.1911 wurde die Friedens-präsenzstärke des Heeres um lediglich 10.339 Wehrpflichtige erhöht. Um den dringendsten Bedarf zu decken, wären 20.000 bis 30.000 Wehrpflichtige erforderlich gewesen. Es bestand ein grobes Mißverhältnis zwischen dem militärischen Bedarf und seiner Deckung.
Sinnvoll gewesen wäre in der Vorkriegszeit eine bedarfsgerechte Weiter-entwicklung der Heeresorganisation und fortlaufende Schließung ihrer Lücken durch
stetige, aber maßvolle
jährliche Neuaufstellungen in allen Bereichen, beginnend spätestens ab 1905. Es wäre sowohl der Organisationsrahmen des Heeres weiter zu entwickeln gewesen als auch der militärische Bedarf in ausreichendem Maße zu decken gewesen. Das hätte innerhalb weniger Jahre zu einer überschaubaren, aber dennoch merklichen Heeresverstärkung geführt.
Es ist nochmals klarzustellen, dass dies alles nichts mit der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht zu tun hat, sondern dass es um die Schließung von Organisationslücken in den bestehenden Divisionen und um eine Weiter-entwicklung der Heeresorganisation ging.
Die teilweise Neustrukturierung des Heeres im Jahr 1912 mit Neubildung von 2 Divisionen und von 2 Armeekorps war ein wesentlicher, aber deutlich verspäteter Fortschritt. Jedoch glaubte der Kriegsminister v. Heeringen, damit seiner Pflicht zur Weiterentwicklung der Heeresorganisation Genüge getan zu haben. Dass diese weiterhin unvollständig war und einer weiteren Ergänzung bedurfte, beschäftigte seine Gedanken nicht. Im Jahr 1913 wurde die Neubildung weiterer Divisionen und Armeekorps auf die Jahre ab 1916 verschoben, obwohl man 2 oder 3 Divisionen bereits durch organisatorische Maßnahmen hätte bilden können. Darin liegt die Hauptursache für die militärische Niederlage von 1914. Durchaus vorstellbar ist aber, dass sich v. Heeringen einer konkreten Anregung des Generalstabchefs, neue Divsionen zu bilden, nicht verschlossen hätte - wäre ihm eine solche Anregung zugegangen, und zwar rechtzeitig zugegangen, so dass er Zeit hatte, darüber nachzudenken. Dies war aber nicht der Fall. Vom Generalstabchef v. Moltke ist nicht bekannt, dass er konkrete Vorstellungen für die Neubildung von Divisionen entwickelt hätte. Rechtlich zuständig dafür war er nicht - aber es hätte in seinem ureigensten Interesse liegen sollen, sich darüber Gedanken zu machen.
Für das Deutsche Heer hätten vor 1914 2 oder 3 Friedens-Divisionen neu gebildet werden können, ohne dass es dazu übermäßiger Anstrengungen bedurft hätte. Die zahlenmäßige Unterlegenheit bei einem Zweifrontenkrieg im Westen und im Osten wäre dadurch zwar nicht ausgeglichen worden, aber dennoch hätten sich die Erfolgsaussichten verbessert. Bei einer Aufstockung des Heeres um 3 Armeekorps bis zum Jahr 1913 bzw. im Jahr 1913 hätte möglicherweise der Rückzug von der Marne am 9. September 1914 und die darin liegende deutsche Niederlage vermieden werden können. Die im Kriegsfall bevorstehende Niederlage war im Frieden vorhersehbar und wurde vom zuständigen Abteilungsleiter im Generalstab im Frieden vorhergesagt.
Quelle:
Reichsarchiv, Der Weltkrieg 1914 - 1918
Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, I. Anlagenband
Erster Teil Dokumente
A. Die militärische Rüstung des Reiches
insbesondere Dokument Nr. 31 Fussnote 1, zu Nr. 54, Nr. 57
Dritter Teil Tabellen und Skizzen zur militärischen Rüstung des Reiches
Die Zahlen sind den Tabellen 10, 16 und 17 entnommen.