Deutsches Heer - Zweites Deutsches Kaiserreich Eckhard Karlitzky Aufsätze und Aufsatz-Fragmente
Deutsches Heer - Zweites Deutsches KaiserreichEckhard KarlitzkyAufsätze und Aufsatz-Fragmente

Zu den Finanzen des Deutschen Reiches (in Bearbeitung)

Einführung

 

Für die Jahre ab 1909 ist ein unmittelbarer Einfluss der Staatsfinanzen auf die Heeresausgaben nachweisbar. Die Sanierung der Staatsfinanzen wurde von Reichskanzler und Reichsschatzamt als vorrangiges politisches Ziel verfolgt. Dies bestimmte die Höhe der für das Heer verfügbaren Geldmittel. Die Forderungen der Kriegsminister an den Reichshaushalt hatten sich dem anzupassen. Wer über die Entwicklung des Deutschen Heeres berichten will, kommt deshalb nicht darum, sich mit den Staatsfinanzen zu befassen.

 

Das Zweite Deutsche Kaiserreich betrieb im staatlichen Finanz- und Haus-haltswesen über 30 Jahre hinweg eine Mißwirtschaft. Ein erheblicher und ständig wachsender Teil der Staatsausgaben wurde im Kreditwege finan-ziert, ohne Aussicht auf Tilgung. Der einheimische Kapitalmarkt erwies sich nicht in ausreichendem Maße als aufnahmefähig. Es kam zu volkswirt-schaftlich negativen Auswirkungen. Die Bedienung der Kredite durch Zinsen und Tilgung nahm einen ständig wachsenden Teil der Staatseinnahmen in Anspruch. Auf die Anforderung von ungedeckten Matrikularbeiträgen der Bundesstaaten konnte daher nicht verzichtet werden.

 

"Aber wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch". Eine durch den Reichskanzler v. Bülow im Jahr 1906 durchgeführte Finanzreform brachte nicht das gewünschte Ergebnis. So entschlossen sich die Regierungen der deutschen Bundesstaaten m Laufe des Jahres 1908 zu drastischen Maßnahmen. Sie finden sich im "Entwurf eines Gesetzes betreffend Änderungen im Finanzwesen" vom 3.11.1908, Anlage Nr. 992 zu den Reichstagsprotokollen 1907/09,22. Die Begründung des Entwurfs führt aus:

 

Zitat:

"Durch das dauernde Missverhältnis zwischen Bedarf und Deckung ist dem Deutschen Reich eine schwere Schuldenlast aufgebürdet worden. Die immer erneute Ausgabe von Schuldverschreibungen und Schatzanweisungen ohne die Aussicht einer Tilgung hat den Kursstand der Anleihe in einer Weise herabgedrückt, dass der Kredit des Reichs bereits in Friedenszeiten Einbuße zu leiden droht. Dieser Zustand hat sich während einer beispiellos glän-zenden Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft und einer gewaltigen Vermehrung des allgemeinen Wohlstandes herausgebildet; er kann daher nur auf schwere Mängel in der finanziellen Organisation des Reiches zurückgeführt werden. Die Beseitigung dieser Mängel ist eine unbedingte Notwendigkeit für die Macht und das Ansehen des Reichs und zugleich eine unerlässliche Voraussetzung für die gedeihliche Weiterentwicklung der deutschen Volkswirtschaft. Nur durch das einmütige und opferwillige Zusammenwirken aller Kreise des Volkes können die Finanzen des Reichs wieder auf eine dauernd gesicherte Grundlage gestellt werden."

  

ziiert aus

"http:www.reichstagsprotokolle.de/Blatt_k12_bsb00002928_0029"

 

Das Jahr 1909 markiert den Beginn einer geordneten Staatshaushalts-wirtschaft. "Keine Ausgabe ohne Deckung" (im Staatshaushalt), strikte Ausgabendisziplin aller Staatsverwaltungen einschließlich Militär, Vermeidung künftiger Kreditaufnahmen soweit irgend möglich, beschleu-nigte Tilgung bestehender Kredite. Eine mittelfristige Finanzplanung über mehrere Jahre wird ins Leben gerufen.

 

Das erste Ziel der "Änderungen im Finanzwesen" 1909, die Eindämmung einer weiteren Staatsverschuldung, wurde im wesentlichen erreicht.

 

Ein zweites Ziel aber, die Einnahmen des Deutschen Reiches auf eine sichere Grundlage zu stellen, wurde verfehlt.

 

 

 

 

 

 

Die politische Aufgabe, dem Reich durch Steuergesetze eine befriedigende Finanzausstattung geben, wurde nicht gelöst.  An dieser Aufgabe ist das Reich gescheitert. Man kann es aber auch so sehen, dass die dem Reich gegebene Friedenszeit von 43 Jahren nicht ausreichte, um Irrwege und Fehlentwicklungen zu überwinden.

 

Hat die Finanznot des Reiches den Ausbau seines Heeres beeinträchtigt und auf diese Weise zur militärischen Niederlage beigetragen?

 

Das ist die Fragestellung, die in diesem Aufsatz untersucht werden soll.

 

 

Teil A Die Regelungen der Reichsverfassung 1871

 

  1. Die Steuergesetzgebung

 

Die Reichsverfassung enthält Bestimmungen darüber, wer die Steuer-gesetze erlassen darf, das Reich oder die einzelnen Bundesstaaten.

 

Davon zu unterscheiden ist die Frage, wem die Erträge aus den Steuern zustehen sollen. Als eine natürliche Betrachtungsweise erscheint, dass die Erträge demjenigen zustehen sollen, der der Steuergesetzgeber ist, sei es das Reich oder ein Bundesstaat. Ausdrücklich gesagt wird dies in der Verfassung aber nicht. Das läßt eine Auslegung zu, dass das Reich als Gesetzgeber hier einen Gestaltungsspielraum hat, wem es die Erträge aus "seinen" Steuern zuweisen will. Diese Auslegung ist aber keineswegs unumstritten.

 

Zu den Bestimmungen ist folgendes auszuführen:

 

1.1  Allgemeine Regelung -  Generalklausel

Dem Reich steht die Steuergesetzgebung zu, soweit es die Steuern für seine verfassungsmäßigen Aufgaben benötigt.

Es gibt nur eine Einschränkung:

„In Bayern, Württemberg und Baden bleibt die Besteuerung des inlän-dischen Branntweins und Bieres der Landesgesetzgebung vorbe-halten.“

Die Einschränkung findet sich in der Verfassung bei der unter nach-stehend Ziff. 1.3 erörterten Spezialregelung und wird unter dieser nochmals dargestellt.

 

Unter den verfassungsmäßigen Aufgaben des Reiches steht an erster Stelle seine Verteidigung. So sagt es die Präambel zur Reichs-verfassung. Sie stehen bei den Geldausgaben obenan. Alle anderen Aufgaben fallen, wenn man den für sie erforderlichen Geldbedarf betrachtet, nicht ins Gewicht.

 

Für den Gesetzgeber besteht ein Anlaß, Steuergesetze zu schaffen, nur insoweit, als sie für die Verteidigung des Reiches benötigt werden. Ohne ausreichende Geldmittel läßt sich kein Heer unter-halten. Es ist Sache des Reichskanzlers, dem Gesetzgeber darzu-legen, was für die Verteidigung des Reiches militärisch erforderlich ist und Vorschläge für die Finanzierung zu unterbreiten. Die Entscheidung über die personellen und materiellen Bedürfnisse des Heeres liegt aber wiederum beim Gesetzgeber.

 

In der zeitlichen Reihenfolge werden es die Bedürfnisse des Heeres sein, über deren Befriedigung der Gesetzgeber zuerst befindet, und notgedrungen muss er dann für die Finanzierung Geldmittel bereit stellen. Eine Beschaffung von Geldmitteln auf Vorrat oder auf Abruf ist vom Gesetzgeber vernünftigerweise nicht zu erwarten. Eine Finanznot des Reiches ist so gewissermaßen vorprogammiert.

 

Bereits hier gilt es, einem Mißverständnis entgegenzutreten. Wenn sich das Reich in Finanznot befand, so bedeutet das nicht, dass die Bevölkerung des Reiches die erforderlichen Geldmittel für das Heer nicht hätte aufbringen können. Hierüber waren die Meinungen geteilt. Soweit Militärs die Auffassung vertraten, der Bevölkerung seien weitere Steuern nicht zuzumuten, ist die Frage, was sie zu einer solchen Stellungnahme berechtigte? Zuständig für die Beurteilung dieser Frage waren allein das Reichsschatzamt und der Reichskanzler, die erforderlichenfalls im Wege einer Vorlage für ein Steuergesetz die Entscheidung des Gesetzgebers einzuholen hatten.

 

 

1.2  Die konkurrierende Gesetzgebung des Reiches und der Bundesstaaten

 

Die Bundesstaaten sind frei in ihrer Steuergesetzgebung,

  • soweit die Reichsverfassung keine Spezialregelung zugunsten des Reiches enthält
  • solange und soweit das Reich von seiner Gesetzgebungs-kompetenz keinen Gebrauch macht.

Dies bedarf einer Erläuterung:

Erlassen ein Bundesstaat und das Reich auf demselben Gebiet ein Steuergesetz, so geraten beide Gesetze in Konkurrenz zuein-ander. Die Reichsverfassung löst diese Konkurrenz auf, indem es dem Reichsgesetz den Vorrang einräumt. Das Gesetz des Bundes-staates tritt außer Kraft.

 

Als Beispiel für eine direkte Steuer sei hier die Erbschaftsteuer genannt. Im Jahr 1906 wurde ein Reichserbschaftsteuergesetz erlassen. Es gab jedoch Bundesstaaten, die bereits Erbschaft-steuergesetze erlassen hatten. Sie traten nunmehr außer Kraft.

 

Den Bundesstaaten sollte durch die Einführung der Erbschaftsteuer auf Reichsebene kein Nachteil erwachsen. Das Steueraufkommen wurde daher zwischen dem Reich und den Bundesstaaten geteilt. Zunächst erhielt das Reich zwei Drittel des Steueraufkommens; später wurde dieser Anteil auf 75 % und dann sogar auf 80 % erhöht.

Warum eine solche Regelung - Aufteilung des Steueraufkommens -  nicht auch bei anderen Steuern wie der Einkommensteuer oder einer Vermögensteuer möglich gewesen sein sollte, ist nicht einsichtig.

 

Im Jahr 1881 wurde eine (Reichs-)Stempelsteuer eingeführt. Sie war eine Kapitalverkehrsteuer und betraf den Handel mit Aktien und anderen Wertpapieren sowie die Besteuerung von Lotterielosen. Zunächst wurden die Wertpapierurkunden mit Steuerentrichtung abgestempelt. Wenig später änderte man den Steuergegenstand, idem der Kauf von bestimmten Urkunden besteuert wurde. Es gab Stempelmarken, die auf Urkunden gesetzt wurden. Bald suchte man nach weiteren Veräußerungsvorgängen, die man besteuern konnte, so insbesondere die Veräußerung von Grundstücken, die heutige Grunderwerbsteuer. Die Bundesstaaten durften dann insoweit keine Steuergesetze mehr erlassen.

 

1.3 Spezialregelung zugunsten des Reiches

"Das Reich ausschließlich hat die Gesetzgebung

 

über das gesamte Zollwesen,"

 

und über bestimmte Verbrauchsteuern,

die in der Verfassung namentlich aufgeführt sind

(sogenanntes Enumerationsprinzip)

nämlich

 

"über die Besteuerung des im Bundesgebiete gewonnenen Salzes und Tabaks,

bereiteten Branntweins und Bieres

und aus Rüben oder anderen inländischen Erzeugnissen dar-gestellten Zuckers und Sirups....."

 

Die Bundesstaaten dürfen auf diese Gebieten keine Gesetze erlassen.

 

Es folgt aber gleich eine Ausnahme:

„In Bayern, Württemberg und Baden bleibt die Besteuerung des inländischen Branntweins und Bieres der Landesgesetzgebung vor-behalten.“

Soweit es um diese Bundesstaaten und die genannten Steuern geht, wird die allgemeine Regelung in ihr Gegenteil verkehrt: Das Reich darf nicht tätig werden.

 

Die Bestimmungen sind, abgesehen von der politisch bedingten Ausnahmeregelung, unmittelbar einleuchtend. Es ist Einheitlichkeit für das ganze Bundesgebiet oder Reich notwendig.

 

  1. Haushaltsrechtliche Bestimmungen

Die Reichsverfassung enthielt einen Abschnitt XII. Reichsfinanzen. In ihm fanden sich  Bestimmungen über den "Reichshaushalts-Etat" und eine Vorschrift, wie die gemeinschaftlichen Ausgaben finanziert werden sollten sowie weitere Vorschriften.

 

2.1 Matrikularbeiträge als Übergangsregelung 1871

 

In der  Vorschrift, wie die gemeinschaftlichen Ausgaben finanziert werden sollten,

 

  • wurden als gemeinschaftliche Einnahmen aufgezählt

etwaige Überschüsse der Vorjahre

sowie die

aus den Zöllen,

den gemeinschaftlichen Verbrauchsteuern

und aus dem Post- und Telegraphenwesen

fließenden  gemeinschaftlichen Einnahmen.

 

  • wurde festgelegt, dass die Ausgaben

insoweit die gemeinschaftlichen Ausgaben durch Einnahmen nicht gedeckt werden

und

solange Reichssteuern nicht eingeführt sind

 

durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten

nach Maßgabe ihrer Bevölkerung

aufzubringen (sind).

 

Die Beiträge, von denen hier die Rede ist, nannte man Matri-kularbeiträge. Die Bezeichnung griff auf Regelungen einer vergan-genen Zeit zurück, in der die Reichsstände dem Reich Geldbeiträge zur Finanzierung eines Reichsheeres leisten sollten und diese Geldbeiträge in einer sogenannten Reichsmatrikel aufgelistet waren. (Es wäre aber eine Unterstellung zu meinen, dass diese Beiträge immer bezahlt wurden.)

 

Die Matrikularbeiträge hatten nach dem Wortlaut der Verfassung subsidiären Charakter. Sie sollten das zu erwartende Haushaltsdefizit des Reiches ausgleichen, und sie waren als eine Übergangslösung bis zur Einführung von Reichssteuern gedacht.

 

2.2 Matrikularbeiträge als Dauerregelung 1904

 

Die Vorschrift, wie die gemeinschaftlichen Ausgaben finanziert werden sollen, wurde im Jahr 1904 durch verfassungsänderndes Gesetz geändert. Nunmehr

 

  • wurden als gemeinschaftliche Einnahmen aufgezählt

die aus den Zöllen

und den gemeinsamen Steuern

und aus dem Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen

sowie aus den übrigen Verwaltungszweigen

fließenden  gemeinschaftlichen Einnahmen.

 

Darin liegt eine Anpassung an die in der Zeit seit 1871 erfolgte Entwicklung der Steuergesetzgebung. Es waren inzwischen Reichssteuern eingeführt worden (was nichts über die Ergiebigkeit dieser Steuerquellen aussagt). Neu ist die Ausklammerung der etwaigen Überschüsse aus den Vorjahren aus dieser Aufzählung. Ihre Verwendung wird nunmehr gesondert geregelt.

 

  • wurde festgelegt, dass die Ausgaben

insoweit die gemeinschaftlichen Ausgaben durch Einnahmen nicht gedeckt werden

 

durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten

nach Maßgabe ihrer Bevölkerung

aufzubringen (sind).

 

Neu war an dieser Formulierung, dass die Einschränkung

"solange Reichssteuern nicht eingeführt sind"

weggefallen war.

 

Die Matrikularbeiträge blieben also bestehen.

 

Damit enthob sich der Gesetzgeber der verfassungs-rechtlichen Notwendigkeit, durch Reichssteuern für einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu sorgen. Soweit die Reichs-steuern nicht ausreichten, konnte ein Defizit im Staats-haushalt für alle Zukunft durch Beiträge der Bundesstaaten ausgeglichen werden. Im Eergebnis bedeutete dies, dass das ursprüngliche Verfassungsziel, die Matrikularbeiträge durch die Einführung von Reichssteuern überflüssig zu machen, aufgegeben wurde.

 

Das war die nunmehrige Rechtslage - die man nicht mit der Wirklichkeit verwechseln darf.

 

  • wurde bestimmt, dass Überschüsse aus den Vorjahren ... zur Deckung gemeinschaftlicher außerordentlicher Ausgaben dienen.

 

Das war ein Versuch, sich eine Möglichkeit zur Tilgung der ausufernden Kredite zu erschließen.

 

2.3 Kreditaufnahme durch das Reich

 

In Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses kann im Wege der Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Über-nahme einer Garantie zu Lasten des Reichs erfolgen.

 

 

Teil  B Kommentierung

 

  1. Das Reich als "Kostgänger der Bundesstaaten"

Es wurde und wird behauptet, die Verfassung habe das Reich zum "Kostgänger der Bundesstaaten" gemacht. Das ist in rechtlicher Hinsicht unzutreffend, denn das Reich konnte die Steuergesetzgebung an sich ziehen, soweit sein Geldbedarf bestand. In politischer Hinsicht trifft es zu. Gesetzgeber waren Bundesrat und Reichstag. Gegen den Widerstand auch nur eines der beiden Verfassungsorgane kam kein Gesetz zustande. Die Bundesstaaten hatten aber zuallererst ihren eigenen Vorteil im Auge und nicht den des Reiches. Die Hoffnung, dass dies im Reichstag anders sein werde, stellte sich alsbald als Illusion heraus.

 

Die Übertragung der Zuständigkeit für das Heer von den einzelnen Bundesstaaten auf das Reich als Zentralstaat wirkte sich für dieses nicht als Stärkung, sondern als Schwächung aus. Das zeigt sich am zahlenmäßig bedeutendsten Heereskontingent, dem des Königreichs Preußen. Seine militärische Stärke war vor der Reichsgründung 1871 wesentlich höher als im Jahr 1914, stellt man die Einwohnerzahl und die Wirtschaftsleistung in Rechnung. Mitursächlich ist indessen ein zeitweises Versagen des preußischen Kriegsministers.

 

Vor der Reichsgründung waren die Militärausgaben ein - wenn auch gewichtiger - Posten im Staatshaushalt der Bundesstaaten unter anderen Posten und mußten wie diese finanziert werden. Durch die Reichsgründung erlangten die Militärausgaben eine rechtliche Sonderstellung, die eigene Steuergesetze erforderlich machte. Diese stellten sich als politisch schwierig zu bewerkstelligen heraus. Das hatte negative Folgen für die Heeresentwicklung.

 

Die zentralistisch organisierten Staaten Frankreich und Russland taten sich mit der Finanzierung ihrer Militärausgaben wesentlich leichter. Die übrigen Staatsausgaben konnten eingeschränkt werden, wenn dies zur Finanzierung der Rüstungsausgaben zweckmäßig und politisch gewollt war. Diese Möglichkeit gab es im föderalen Deutschen Reich nicht.

 

  1. Zur Steuergesetzgebung

 

2.1

Die Verfassung enthielt - von der Bier- und Branntweinsteuer abgesehen - keine Einschränkungen, welcher Art die vom Reich zu erlassenden Steuergesetze sein sollten. Die einzige Voraussetzung ist, dass das Reich Steuern nur insoweit erheben darf, als es für seine verfassungsmäßigen Aufgaben notwendig ist. Ob das Reich direkte Steuern (also insbesondere Ertrag- oder Vermögensteuern) oder indirekte Steuern (Verbrauchsteuern) oder sonstige Steuern erheben will, ist von der Verfassung her nicht festgelegt.  

 

Das Reich hätte jederzeit die Befugnis gehabt, eine Reichs-einkommensteuer oder eine Reichsvermögenssteuer einzuführen. Wenn dies nicht geschah, so deshalb, weil die Mehrheitsparteien in den Bundesstaaten und im Reichstag es nicht wollten. An diese Verantwortung wollten sie - d.h. ihre führenden Politiker -aber nach dem verlorenen Krieg nicht erinnert werden, und es gilt auch im 21. Jahrhundert als politisch inkorrekt, daran zu erinnern.

 

Den 1913 beschlossenen Wehrbeitrag - eine einmalige Vermögens-abgabe - kann man aber durchaus als eine Reichsvermögensteuer auffassen. Sie kam aber zu spät, als dass sie das Unheil einer militärischen Niederlage noch hätte abwenden können.

 

Indem die Reichsverfassung das Reich bei der Einführung/Erhebung direkter oder indirekter Steuern - oder sonstiger Steuern! - in keiner Weise festlegt oder einschränkt, enthält es eine zukunftsoffene und flexible Regelung. Dies ist ausgesprochen positiv zu bewerten. Die Verfassung geht nicht in die Einzelheiten, sondern überlässt sie dem Gesetzgeber, der volle Gestaltungsfreiheit hat. Die damaligen Juristen wollten eine Verfassung, die Bestand hat.

 

2.2

Im politischen Raum gab es - insbesondere von konservativer Seite - eine Forderung, dem Reich seien die indirekten Steuern, den Bundesstaaten aber die direkten Steuern zuzuweisen. Sie lässt sich aus der Reichs-verfassung nicht herleiten bzw. nicht mit ihr begründen.

 

Die Bundesstaaten dürfen auch Verbrauchsteuern erheben, soweit das Reich sich diese nicht für seine ausschließliche Gesetzgebung vorbehalten hat. Zieht das Reich Verbrauchsteuern an sich, die nicht in der Verfassung genannt sind, endet die Gesetzgebungskompetenz der Bundesstaaten.

 

Die Befugnis des Reiches, direkte Steuern zu erheben, war zu keinem Zeitpunkt streitig oder zweifelhaft.  Weder bei der Einführung von Wert-zuwachssteuern (Bodenwertzuwachssteuer oder sonstige Vermögens-wertzuwachssteuer) noch bei der Reichserbschaftsteuer 1906 noch bei dem Wehrbeitrag von 1913 (eine einmalige kombinierte Einkommen- und Vermögensabgabe) stand die Kompetenz des Reiches infrage.

 

 

2.3.

Die Verfassung ermöglichte es dem Reich, sich finanziell auf eigene Füße zu stellen und von den Bundesstaaten unabhängig zu machen. Wenn dies nicht geschah, so lag es nicht an der Verfassung. Es fehlte am politischen Willen.

 

Die Bundesstaaten wollten kein finanziell unabhängiges Reich. Sie wollten Staaten im Rechtssinne und in der Wirklichkeit bleiben. Als Unterpfand für die eigene Staatlichkeit galten das eigene Heer und das eigene Besteuerungsrecht, insbesondere auf dem Gebiet der direkten Steuern, allen voran der Einkommensteuer und der Vermögensteuer. Bei den süddeutschen Staaten kam noch die eigene Eisenbahn hinzu. Wenn sich die Bundesstaaten gegen eine Reichs-Einkommensteuer positionierten, so deshalb, weil sie eine Aushöhlung ihrer eigenen Staatlichkeit befürchteten. Das war nicht ein bloßer Zuständigkeitsstreit zwischen Bund und Ländern, wie man ihn aus der Bundesrepublik Deutschland kennt.  Länder in dem Sinne, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland bestehen, wollten die Bundesstaaten gerade nicht werden.

 

Was den Reichstag angeht, so fühlten sich seine Abgeordneten zuallererst als Bayern, Preußen, Sachsen oder Württemberger. Es wäre ein Irrtum zu glauben, der Reichstag hätte aus deutschen Patrioten bestanden, deren Sinnen und Trachten auf das Wohl des Ganzen gerichtet gewesen sei. Die Abgeordneten hatten ihre Wähler im Blick und man darf ohne weiteres unterstellen, dass deren Neigung, steuerliche Belastungen auf sich zu nehmen, unterentwickelt war. Der Patriotismus endete vor der eigenen Brieftasche.

 

Als weitere Ursache genannt wird das unterschiedliche Wahlrecht in den Bundesstaaten und dem Reich. In Preußen garantierte das Dreiklassen-Wahlrecht den wohlhabenden Bevölkerungskreisen einen ausschlag-gebenden Einfluss auf die Steuergesetzgebung. Beim Reichstag mit dem allgemeine und gleichen Wahlrecht gab es diese Garantie nicht, auch wenn sich die Regierung bemühte, Wege zu finden, um den konservativen Kräften einen höheren Einfluss zu geben als es dem Wahlrecht entsprach. Die politischen Parteien im Reichstag waren aber keine anderen als die in den Bundesstaaten und hatten auch keine anderen Auffassungen. Daher dominierte auch im Reichstag der Partikularismus.

 

  1. Zu den Matrikularbeiträgen

Die Anknüpfung an die Einwohnerzahl des jeweiligen Bundesstaates war problematisch. Bei formaler Betrachtung wurden alle Bundes-staaten gleich behandelt. Bei einer materiellen Betrachtung war die Behandlung ungleich, da die Wirtschaftskraft der einzelnen Bundes-staaten ungleich war.  Die Bundesstaaten mit geringerer Wirtschafts- kraft waren nicht in der Lage, diese zu steigern - dazu waren die geografischen Voraussetzungen zu unterschiedlich.

 

Die unvermeidbare Folge war, dass die finanzschwächeren Bundes-staaten ihren Anteil an den ausgeschriebenen Matrikularbeiträgen nicht aufbringen konnten, sobald diese eine bestimmte - und zwar recht niedrig anzusetzende Höhe überstiegen. Da mußte nach Auswegen gesucht werden, wie man Hilfe schaffen konnte. Das bedeutete, dass Sonderregelungen getroffen werden mußten. Es wurde kompliziert. Der einfachste Ausweg war aber, rückständige Matri-kularbeiträge durch die Aufnahme von Krediten für das Reich zu elimineren.

 

Für eine Übergangszeit mochte der Nachteil der wirtschaftlichen Ungleichbehandlung der Bundesstaaten in Kauf genommen werden. Als Dauerregelung bedeuteten die Matrikularbeiträge, dass der Gesetzgeber ein ungelöstes Finanzierungs- und Steuerproblem vor sich herschob. Eine Reduzierung der Matrikularbeiträge verminderte zwar das Gewicht der Schwierigkeiten, löste sie aber nicht. 

 

Die politische Aufgabe, das Reich finanziell auf eigene Füße zu stellen, wurde bis zum Ende des zweiten Deutschen Kaiserreichs nicht gelöst.

 

  1. Zur Möglichkeit der Kreditaufnahme

 

Die Bestimmung wurde von der Reichsleitung wie vom Gesetzgeber extrem weit ausgelegt, entgegen ihrem Wortlaut und Zweck. Mit außerordentlichen Bedürfnissen meinte man ursprünglich den Fall eines Krieges oder sonstiger Notlagen. Dabei scheint es aber nicht geblieben zu sein. Wie Peter-Christian Witt schreibt, sei einem großen Teil Rüstungsausgaben ein "außerordentlicher" Charakter zuge-sprochen worden, so dass er über Anleihen finanziert werden durfte.

 

Damit können allenfalls "einmalige" Rüstungsausgaben gemeint sein. Man unterschied damals "fortdauernde" und "einmalige" Rüstungs-ausgaben. Die ersteren waren solche, die für die Zukunft weiter dauerten, die letzteren Investitionen, denen keine Folgekosten zugesprochen wurden.

 

Bei militärischen Unternehmungen wie der China-Expedition zur Niederschlagung des Boxer-Aufstandes oder in Südwestafrika zur Niederschlagung des Hereroaufstandes mochte man darüber streiten, ob das außerordentliche Bedürfnisse waren.

 

Tatsache ist, dass bis 1914 Kredite in Höhe von mehreren Milliarden Mark aufliefen. Tatsache ist aber auch, dass ab dem Jahr 1909 unter dem Staatssekretär des Reichsschatzamtes Wermuth in der Reichsleitung hinsichtlich der Verschuldung eine Gegenbewegung einsetzte. Wermuth forderte strikte Haushaltsdisziplin, auch vom Kriegsminister. Keine Ausgabe durfte mehr erfolgen, wenn sie nicht durch eine Einnahme im Haushaltsplan des Staates gedeckt war. Dadurch sollten Defizite im Staatshaushalt und die (politische) Notwendigkeit, diese durch Kredite auszugleichen, vermieden werden. Der Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg stand zu dieser Linie.

 

 

Teil C Geschichtliche Entwicklung nach 1871

 

Zwischen dem Reich als Zentralstaat und den Bundesstaaten, die es gegründet hatten, entstand bzw. bestand ein Geflecht wechselseitiger Finanzbeziehungen. Drei Zeitperioden heben sich voneinander ab:

 

1.  die Reichsgründungsperiode 1871 bis etwa 1878/79

Die Finanzierung der Staatsausgaben erfolgte im Rahmen der Bestimmungen der Reichsverfassung.

 

2. die Franckenstein- oder Verrechnungsperiode von 1879 bis 1904

 

2.1  Die Franckenstein'sche Klausel

 

Die Einnahmen des Reiches aus Zöllen und der Tabaksteuer werden auf einen Betrag von jährlich 130.000.000 Mark festgeschrieben.

 

Den übersteigenden Betrag erhalten die Bundesstaaten überwiesen - so der Gesetzeswortlaut. Das "Gesetz, betreffend den Zolltarif des Deutschen Zollgebietes und den Ertrag der Zölle und der Taback-steuer" vom 15. Juli 1879 Reichsgesetzblatt Seite 207 bestimmte in § 8:

"Derjenige Ertrag der Zölle und der Tabacksteuer, welcher die Summe von 130.000.000 Mark in einem Jahr übersteigt, ist den einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe der Bevölkerung, mit welcher sie zu den Matrikularbeiträgen herangezogen werden, zu überweisen. Diese Überweisung erfolgt vorbehaltlich der definitiven Abrechnung zwischen der Reichskasse und den Einzel-staaten...."

 

Das Gesetz sieht somit im Ergebnis eine Verrechnung von Einnahmen des Reiches mit den Matrikularbeiträgen der Bundesstaaten vor.

 

Das Reich bleibt, rechtlich gesehen, von den Zuwendungen der Bundesstaaten abhängig, gleichzeitig trägt es zu ihrer Finanzierung bei.

 

2.2 Entstehung der Franckenstein'schen Klausel

 

Auslöser dieser Regelung war der Wille des Reichskanzlers v. Bismarck, Einfuhrzölle für das Reich  zu erheben. Durch sie sollten die niedrigeren Weltmarktpreise auf das einheimische Niveau angehoben werden und die einheimische Landwirtschaft konkurrenzfähig bleiben.

 

Auf die Liberalen im Reichstag konnte  Bismarck dabei nicht zählen, die waren Anhänger eines Freihandels. Die Sozialdemokraten waren dagegen, da Agrarzölle zu einer Verteuerung der Grundnahrungsmittel führten und also zu Lasten der einkommensschwächeren Bevöl-kerungskreise gingen.

 

Der Reichskanzler brauchte daher die Zustimmung der Konservativen und der katholischen Zentrumspartei. In beiden Fraktionen dominierte die Wahrnehmung der Interessen der eigenen Landwirtschaft. Dennoch verstanden es die Fraktionen, sich ihre Zustimmung gegen Zuge-ständnisse der Reichsleitung abkaufen zu lassen. Es kam zu einem politischen Kompromiß. Maßgebend daran beteiligt war der Zentrums-Abgeordnete Franckenstein.

 

Konservative und Zentrum erreichten eine Beteiligung der Bundes-staaten an den Reichseinnahmen, der Reichskanzler erhielt die Zustimmung des Reichstages zu Einfuhrzöllen. Der Betrag von 130.000.000 Mark beruhte auf Kalkulationen des Reichskanzlers von Bismarck. Merkwürdig ist, dass er 25 Jahre lang bis zur Aufhebung der Franckenstein'schen Formel unverändert blieb.

 

2.3 Finanzierung der Bundesstaaten durch das Reich

 

Abhängig von der Höhe der Einnahmen  des Reichs konnte der Anteil der Bundesstaaten an Einfuhrzöllen und der Tabaksteuer höher ausfallen als die von ihnen geschuldeten Matrikularbeiträge. Das Reich finanzierte dann die Bundesstaaten, nicht umgekehrt. Dieser Fall trat wirklich ein. Zwischen 1883 und 1897 überwies das Reich den Bundesstaaten erheblich größere Summen, als es in Form von Matrikularbeiträgen von diesen erhalten hatte.

(so Peter-Christian Witt, "Patriotische Gabe" und "Brotwucher", in:

"Mit dem Zehnten fing es an", Herausgegeben von Uwe Schultz, C.H. Beck München 1986)

 

Bei Witt finden sich weiterhin Ausführungen dazu, dass die Agrarzölle teilweise "mit Hilfe von Exportprämien in die Taschen der Großagrarier geleitet wurden". Auch für die kleineren Landwirte habe sich ein finanzieller Vorteil ergeben. Die Zuschüsse des Reiches zur gesetz-lichen Rentenversicherung der Arbeitnehmer seien nur ein geringer Ausgleich für die durch die Zölle verursachte Verteuerung der Grund-nahrungsmittel gewesen. Aus diesen Tatsachen habe sich die politische Agitation der Sozialdemokraten gespeist.

 

2.4 Auswirkungen auf die Reichsfinanzen

 

Das Reich war bis 1877 schuldenfrei und häufte danach bereits bis 1897 einen Schuldenberg von 2,1 Milliarden Mark auf.

(so Peter-Christian Witt, "Patriotische Gabe" und "Brotwucher", in: wie oben

 

Die Frage liegt nahe, wie das sein kann, da doch die Matrikularbeiträge den Fehlbetrag im Reichshaushalt abdecken sollten?

 

Die Antwort ist, dass Verfassungstheorie und politische Praxis unterschiedliche Dinge sind.

 

Der Reichskanzler hatte den Reichshaushalt vor Beginn eines jeden Rechnungsjahres aufzustellen und brauchte die Zustimmung des Gesetzgebers, um diesen rechtswirksam werden zu lassen. Er hatte dafür zu sorgen, dass der Haushalt auf dem Papier ausgeglichen war.

 

In der Wirklichkeit, nach Ablauf des Rechnungsjahres, ergab sich oftmals ein Fehlbetrag. Der bequemste Weg war, diesen durch eine Kreditaufnahme auszugleichen.

 

Allgemein wäre es ein Fehler zu meinen, dass festgesetzte Matri-kularbeiträge immer bezahlt wurden. Für die Bundesstaaten war eine nachträgliche Umwandlung in Kredite des Reiches eine gern gesehene Lösung.

 

Was sich genau abspielte, bedürfte einer detaillierten Untersuchung, die hier nicht gegeben werden kann - falls sie überhaupt möglich sein sollte.

Im Übrigen wird wegen Einzelheiten verwiesen auf

Julia Cholet, Der Etat des Deutschen Reiches in der Bismarckzeit, Dissertation an  der Universität Leipzig, Berliner Wissenschaftsverlag 2012

 

2.5 Auswirkungen auf das Reichsheer

 

Indem die Einnahmen des Reichs aus Zöllen und der Tabaksteuer auf einen festen Betrag gedeckelt wurden, war sein finanzieller Handlungsspielraum von vornherein begrenzt.

 

Gleichzeitig traf jeder Antrag des Reichskanzlers auf eine Heeresvermehrung auf entschiedenen Widerstand im Reichstag. Der Neuaufbau des französischen Heeres ging bedeutend schneller vor sich als erwartet und stellte das Reich vor neue militärische Herausforderungen. Dem wurde nur in unzureichendem Maße Rechnung getragen.

 

 

2.6 Würdigung der Franckenstein'schen Klausel

 

Aus der Sicht der Verfassungsrechtler war die Regelung der Franckenstein'schen Klausel "praeter legem" oder, um ein gegen Ende des 20. Jahrhunderts entstandenes geflügeltes Wort zu gebrauchen, "etwas außerhalb der Legalität". Sie war mit dem Wortlaut des Artikel 70 der Reichsverfassung unvereinbar. Das Reich entwickelte sich mit dieser Regelung zurück in die Richtung eines Staatenbundes. Und genau dies war - nicht vom Reichskanzler, aber von den zustimmenden Fraktionen im Reichstag - , politisch gewollt.

 

 

Was feststeht, ist eine hohe Verschuldung des Reiches. Es führte einen Teil seiner Einnahmen an die Bundesstaaten ab, geriet dadurch selbst in eine dauernde Finanznot und mußte Schulden aufnehmen. Der verfassungsmäßige Ausgleich durch Matrikularbeiträge funktionierte nicht. Den Bundesstaaten und ihren Finanzen bekam diese Verfahrensweise vorzüglich.

 

Man kann diese Entwicklungen, je nach Temperament, als aberwitzig, grotesk, paradox oder verhängnisvoll bezeichnen. Das letztere war sie in jedem Fall. Sicherlich hatte der Abgeordnete Franckenstein derartige Entwicklungen nicht beabsichtigt. Aber sie traten ein.

 

 

 

3. die "Weltpolitik"- oder "Schlachtflotten"-Periode ab 1898/1904 bis 1914

Die Periode ist gekennzeichnet von der Suche nach neuen Einnahmequellen für das Reich. Mit dem Aufbau einer Schlachtflotte seit 1898 - siehe vorstehend - und der "Weltpolitik" Kaiser Wilhelms II. reichten alle Einnahmen nicht mehr aus, um die Ausgaben zu decken.

 

Für eine Beteiligung der Bundesstaaten an den Einnahmen des Reichs war kein Raum mehr. Die Regelung des § 8 im "Gesetz, betreffend  den Zolltarif..." vom 15. Juli 1879 wurde im Jahr 1904 aufgehoben.

 

Der Einschub in Artikel 70 der Reichsverfassung  "so lange Reichssteuern nicht eingeführt sind" wurde durch ein verfassungs-änderndes Gesetz vom 14. Mai 1904 gestrichen. Die Erhebung von Reichssteuern stand nunmehr der Festsetzung von Matrikularbeiträgen nicht mehr im Wege. Es konnten beide Wege zur Finanzierung der Staatsausgaben beschritten werden. Das Ziel, die Matrikularbeiträge überflüssig zu machen, wurde aufgegeben. Die Finanznot des Reiches war zu drückend.

 

Der Weg in die Aufnahme von Schulden wurde ausgeweitet. 1913 waren bereits mehr als 5 Milliarden Mark an Schulden aufgelaufen. Die Kreditbeschaffung stieß bereits Jahre zuvor auf Schwierigkeiten, da der deutsche Kapitalmarkt sich nicht als genügend ergiebig erwies,  und die Verzinsung der Schulden belastete den Reichshaushalt. In welchem Umfang die Schulden unmittelbar durch die Schlachtflotte verursacht waren, ist unter den Fachleuten streitig.

 

Die politische Diskusssion verlagerte sich auf ein altbekanntes Thema. Das Reich finanzierte sich überwiegend aus Zöllen sowie aus Verbrauchsteuern (indirekten Steuern). Auch eine Stempelsteuer auf Grundstücksbeurkundungen und Finanz-transaktionen war eingeführt worden. Da dies alles nicht ausreichte - sollte man nicht zusätzlich direkte Steuern auf das Einkommen und das Vermögen erheben?

 

Diese Frage beherrschte in den Vorkriegsjahren die innenpolitische Diskussion. Die Widerstände gegen die Einführung direkter Steuern waren enorm und die Bemühungen, sie durchzusetzen, scheiterten, mit einer verhältnismäßig geringen Ausnahme (Erbschaftsteuer) und einer bedeutenden Ausnahme (Wehrbeitrag).

 

Streitig ist, ob die Bundesstaaten (insbesondere die Staaten mittlerer Größe wie Bayern, Sachsen und Württemberg) durch eine Blockade-haltung im Bundesrat für das Scheitern verantwortlich sind oder aber ob der Reichstag verantwortlich ist.

 

Die  Finanzreform 1909, wie sie der Reichskanzler v. Bülow ursprünglich beabsichtigte (Mehreinnahmen durch Erhöhung von Tabak-, Bier- und Branntweinsteuer sowie durch eine Abschaffung von Befreiungen bei der Erbschaftsteuer), scheiterte im Reichstag, nicht im Bundesrat. Die dafür verantwortlichen Fraktionen waren Konservative und Zentrumspartei sowie die polnischen Abgeordneten. Die Fraktion des Zentrums wurde von Matthias Erzberger geführt; bei der Ablehnung der Reform war er jedoch nicht der Wortführer. Die ablehnende Mehrheit der Abgeordneten wollte keine Ausweitung der Erbschaftsteuer.

 

Aber selbst wenn man den Bundesrat für verantwortlich hält (oder mitverantwortlich), so gilt doch: auch die Bundesstaaten hatten Parlamente und politische Parteien, die ihre Haltung bestimmten. Also sind diese letztlich für das Verhalten der Bundesstaaten verantwortlich und ihre Haltung ist zu hinterfragen.

 

1913 kam es zur Finanzierung der Heeresreform und der höheren laufenden Militärausgaben, die sie in den kommenden Jahren zur Folge haben würde, zu einer Wertzuwachssteuer und einem Wehrbeitrag. Dieser war eine kombinierte Einkommen- und Vermögensteuer und traf nur die besitzenden Schichten im Bürgertum und im Adel. Er war jedoch als einmalige Ausnahme gedacht, nicht als Beginn neuer Ertragsteuern auf Reichsebene. Für ihn stimmten alle Fraktionen des Reichstages, an der Spitze die stärkste Fraktion des Reichstages, die Sozialdemokraten -, mit Ausnahme der Konservativen und einem Teil der Zentrumsabgeordneten. Die Zentrumsfraktion hatte sich also gegenüber 1909 vorwärts bewegt, die Konservativen nicht. Sie blieben bei ihrer reichsfeindlichen Einstellung. Im Ergebnis ging dies zu Lasten des Heeeres, als dessen Anwalt sich die Konservativen ausgaben.

 

Als Ergebnis ist festzuhalten:

 

Die Ausgaben für das Heer richteten sich während der überwiegenden Friedenszeit nach den verfügbaren Staatseinnahmen und nicht nach den militärischen Notwendigkeiten. Das ging auf Dauer nicht gut. Die Heeres-reformen von 1912 und 1913, mit denen der beim Heer aufgestaute Nach- holbedarf abgebaut werden sollte, kamen zu spät und die Heeresreform 1913 setzte teilweise falsche Akzente.

 

Das System der Matrikularbeiträge wurde erst 1919, nach dem verlorenen Weltkrieg, durch die Erzberger'sche Finanzreform überwunden, die eine Reichseinkommensteuer brachte. Offenkundig hatte sich da ein Sinneswandel vollzogen. Der kam aber zu spät, um das Schicksal des Reiches abzuwenden. Eine Reichseinkommensteuer hätte Erzbergers Partei, das Zentrum, auch bereits unter der Verfassung des Kaiserreichs haben können.

 

Zu bemerken wäre noch, dass das Pendel jetzt in eine andere Richtung, nämlich zugunsten des Zentralstaates, ausschlug.

 

 

 

 

 

 

 

 

Druckversion | Sitemap
© Eckhard Karlitzky