Deutsches Heer - Zweites Deutsches Kaiserreich Eckhard Karlitzky Aufsätze und Aufsatz-Fragmente
Deutsches Heer - Zweites Deutsches KaiserreichEckhard KarlitzkyAufsätze und Aufsatz-Fragmente

             Deutsches Heer bei Kriegsausbruch 1914

            Friedens-Ursachen der deutschen Niederlage von 1914

Teil A  - Überblick

 

Ausgangsthese:

Niederlage im Krieg als Folge unzureichender Rüstungen zu Lande im Frieden:

 

Inhaltsverzeichnis

 

1. Unzureichende Defensiv-Maßnahmen:                                            Seite 1                                                             

    1.1 Unterlassener Ausbau der Festungen im Osten 

    1.2 Festungen Posen, Thorn und Graudenz                                     Seite 2

    1.3 Verteidigung von Ostpreußen?

    1.4 Bedeutung der Ostfestungen Ende Juli 1914                              Seite 3

 

2. Unzureichende Offensiv-Maßnahmen:                                             Seite 3                                                                

    2.1 Divisionen als maßgebende Kampfeinheiten

    2.2 Ungenügende Zahl an Divisionen                                              Seite 4

 

3. Volle Ausnutzung der allgemeinen Wehrpflicht?

    Unzureichende Rekruten-Einberufungen 1899 - 1911

 

4. Unzureichende materielle Ausstattung


Text

 

Die Niederlage im 1. Weltkrieg ist der erste Akt einer Tragödie, die sich als "Der Untergang des Deutschen Reiches" überschreiben läßt. Die Hauptursache lag in der vorangegangenen Friedenszeit, nämlich in unzureichenden Rüstungen zu Lande. Dem stand eine Über-Rüstung zur See gegenüber, für die kein militärischer Bedarf bestand. Um die deutschen Küsten zu verteidigen, hätte eine geringere Stärke der Kriegsflotte ausgereicht.

 

Eine Unter-Rüstung zu Lande bestand sowohl bei den Defensiv- als auch bei den Offensivmaßnahmen. Das deutsche Heer war nicht in dem erforderlichen Maße entwickelt worden. Die Rüstungs-Unterlassungen wirkten sich verhängnisvoll aus. Die unterlassenen Defensivmaßnahmen verhinderten, dass Ende Juli 1914 die Diplomatie eine letzte Chance erhielt, den Krieg abzuwenden. Die unterlassenen Offensivmaßnahmen führten dazu, dass  der Feldzugsplan des Generalstabchefs v. Moltke in den ersten Septembertagen 1914 scheiterte. Danach ließ sich die Niederlage nicht mehr abwenden.

 

Zu unterscheiden sind im Frieden:

 

1. Unzureichende Defensivmaßnahmen:

 

Die Grenzen des Reiches waren durch Festungen zu schützen. Im Gegensatz zu Frankreich hatte das Deutsche Reich nicht nur eine, sondern zwei Grenzen zu schützen, was einen doppelt so hohen finanziellen Aufwand erforderte.

 

1.1

Im Westen wurde der Schutz durch die Festungen Metz und Straßburg sowie durch die Panzerfeste Kaiser Wilhelm II. bei Mutzig im Elsass erreicht. Die Maßnahmen genügten.

 

Im Osten sollte der Schutz durch die Weichselfestungen - das waren vor allem Graudenz und Thorn - und die Festung Posen erreicht werden. Die Festungen wurden aber in den Vorkriegsjahren vernachlässigt und genügten nicht mehr den Anforderungen der Gegenwart. Die militärische Sicherheit des Reiches im Osten war nicht mehr gewährleistet. Mit dem Heeresgesetz 1913 wurden im Nachtrag zum Reichshaushaltsetat 1913  unter "einmalige Ausgaben" 70 Millionen Mark für den Ausbau bereitgestellt (Reichsgesetzblatt 1913 Seite 499 ff). Eine Bereitstellung von Geldmitteln in den Folgejahren war beschlossen (insgesamt 210 Millionen Mark). Diese Entscheidungen kamen zu spät. Man konnte Festungen nicht aus dem Boden stampfen. In der  Heeresvorlage 1913 des Reichskanzlers v. Bethmann Hollweg

 

"Entwurf eines Gesetzes

zur Ergänzung des Gesetzes über die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres

vom 27. März 1911/14. Juni 1912...", mit Begründung

Reichstagsprotokolle 13. Legislatur-Periode

1912/14,19 - Anlage Nr. 869 vom 28. März 1913 -

http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt_k13_bsb00003397_00367.html

 

- die den Ausbau der Festungen Posen und Graudenz vorsah - wird zur Begründung festgestellt:

 

"Deutschland hat in einem Kriege, der ihm aufgenötigt werden sollte, langgestreckte, von Natur zum großen Teil offene Grenzen möglicherweise gleichzeitig gegen mehrere Feinde zu schützen."

 

Hätte man das nicht früher bemerken können?

 

1.2

Im Frieden wurden als die entscheidenden Ostfestungen angesehen:

 

- 2 -

 

Die Festung Posen

bestand aus einem Kernwerk (heute von polnischer Seite Weinbergfestung genannt) und 18 Außenforts um dieses herum. Sie war zum Ende des 19. Jahrhunderts zu einer der stärksten Festungen in Europa ausgebaut worden. Sie  Zu Beginn des 20. Jahrhunderts mußte sie modernisiert und ihr Umfang durch neue Außenforts erweitert werden. Das wurde aus Geldmangel jahrelang verschleppt. Erst die im Nachtragshaushalt zum Reichs-haushaltsetat 1913 vorgesehen 70 Millionen Mark wurden für Posen bereitgestellt. Im Mai 1913 erteilte Kaiser Wilhelm II. den Befehl zum Ausbau. Posen lag - und liegt - an der Warthe auf halbem Wege zwischen Warschau und Berlin. Wenn aus dem Osten eine feindliche Armee kam und nach Berlin marschieren wollte, so mußte sie zuerst die Festung Posen erobern. Das hätte einige Monate dauern können.

 

Die Festung Thorn

bestand aus zwei Ringen von Forts beiderseits der Weichsel um die Stadt Thorn mit 14 oder 15 Forts im äußeren Ring. Im Osten waren sie bis fast an die Reichsgrenze vorgeschoben. In den letzten Vorkriegsjahren entsprach die Festung nicht mehr modernen Anforderungen. Eine Modernisierung war erforderlich. Sie geschah aber nicht. Die Festung sollte verhindern, dass feindliche Truppen aus dem Osten die Weichsel auf deutschem Reichsgebiet überschritten.

 

Die Festung Graudenz

bestand aus 9 oder 10 Forts östlich der Weichsel, die in einem engen Halbkreis um die Stadt Graudenz angeordnet waren. Sie sollte durch zusätzliche Forts, die nach Osten vorzuschieben waren, erweitert werden und im Westen der Weichsel sollten erstmals Forts neu geschaffen werden. Der Bau wurde mit dem Heeresgesetz 1913 beschlossen. Auf dem östlichen Weichselufer sollte ein Umfang von 50 km hergestellt werden, und auf dem westlichen Weichselufer ein Umfang von 26 km. Damit wurde vor Kriegsbeginn 1914 nicht mehr begonnen. Feindliche Truppen aus dem Osten hätten bei Existenz einer solchen Festung zuerst diese erobern müssen, um in das untere Weichselgebiet mit Danzig zu gelangen. Eine Belagerung konnte sich mehrere Monate lang hinziehen. Das hätte dem Generalstabchef einen Zeitgewinn für seine Operationen im Westen verschafft.

 

Die Festungen Graudenz und Posen sollten im Zuge ihrer Erweiterung 6 neue Bataillone Fußartillerie erhalten. So sah es das Heeresgesetz 1913 vor. Ein Bataillon Fußartillerie umfaßte 4 Batterien zu je 4 Geschützen. Mit dem Beginn der Anschaffung war frühestens 1915 zu rechnen.  Der Generalstab strebte dafür den Herbst 1914 an.

 

1.3

Weitere Defensivmaßnahmen wären möglich gewesen. Nimmt man Ostpreußen (das "Land im Osten", wie eine Dichterin es nennt) auf einer Landkarte in den Blick, so sieht man: Das Land lag östlich und nordöstlich von den vorstehend angesprochenen Festungen und wurde von ihnen nicht geschützt. Wollte man Ostpreußen ernsthaft verteidigen, so

 

  • wäre in Masuren ein Ausbau der Feste Boyen, die aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammte, angebracht gewesen. Im Jahr 1913 wurde eine Erweiterung der Feste "in Aussicht genommen",  siehe Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 25. Juni 1913, Reichsgesetzblatt 1913 Seite 434. An Verteidigungs-Stellungen gab es 1914 die Seensperre in Masuren. Weitere Stellungen hätten errichtet werden können.

 

  • hätte man die vorhandenen Landwehrbrigaden zu einer Landwehrdivision zusammenfassen können. Sie wäre mit Feldartillerie und Munitionskolonnen auszustatten gewesen, um die Kampfkraft der Landwehr zu steigern. Die Notwendigkeit solcher Maßnahmen lag auf der Hand, weil die 8. Armee, die im Kriegsfall Ostpreußen verteidigen sollte, nur 9 Divisionen umfaßte. 10 Divisionen galten als wünschenswert. Die Landwehrbrigaden besaßen nur in Ausnahmefällen Feldartillerie.

 

- 3 -

 

Die Maßnahmen unterblieben jedoch. Ein politischer Wille, Ostpreußen ernsthaft zu verteidigen, läßt sich nicht feststellen, und der politische Wille muss dem militärischen vorausgehen.  Der Bau von Schlachtschiffen hatte Vorrang. Mit den Geldmitteln, die in einem einzigen Jahr in Schlachtschiffe investiert wurden, hätte man Ostpreußen zu einer uneinnehmbaren Festung ausbauen können.

 

1.4

Die Bedeutung der Ostfestungen zeigte sich Ende Juli 1914:

 

Die russische Mobilmachung (Kriegsvorbereitungsperiode 25./26. Juli 1914, Befehl zur Teil-Mobilmachung am 29. Juli 1914, am 30. Juli 1914 Befehl zur allgemeinen Mobilmachung von 111 Divisionen) bedeutete die Versammlung russischer Armeen an der Ostgrenze des Reiches. Diese war nicht in ausreichendem Maße durch Festungen geschützt. Das Deutsche Reich mußte militärisch reagieren. Das tat es am 31. Juli 1914 mit der Verkündung des "Zustandes drohender Kriegsgefahr" und mit Ultimaten an Frankreich und Russland. Nach deren Ablauf entschieden sich die Verantwortlichen in Militär und Politik für Krieg - zuerst im Osten gegen Russland und später im Westen gegen Frankreich. Diese Entscheidungen waren vermeidbar, hätte man die Reichsgrenze im Osten rechtzeitig in dem erforderlichen Ausmaß gesichert.

 

Bei ausreichenden Verteidigungs-Vorkehrungen hätte sich das Deutsche Reich darauf beschränken können, auf die russische Mobilmachung mit einer Teil-Mobilmachung des eigenen Heeres und der Festungen des Reichs im Osten zu antworten. Das hätte niemanden bedroht. Die sofortige Einleitung weiterer Verteidigungsmaßnahmen im Osten wäre sinnvoll gewesen. Der Teil des Heeres, der zum Einsatz im Westen bestimmt war, hätte in den Kasernen bleiben können und bleiben sollen. Die Entscheidung über Krieg oder Frieden hätte dann bei der französischen Regierung gelegen.

 

2. Unzureichende Offensivmaßnahmen:

 

2.1

Der Organisationsrahmen des Heeres war unzureichend. Seine Offensivkraft war nicht in dem erforderlichen und möglichen Umfang entwickelt worden. Es ging hierbei um Formationen (= Einheiten) für den Kampf. In diesem Aufsatz wird auf Divisionen abgestellt. Deren Zweck beschrieb der preußische Kriegsminister v. Einem am 3. Dezember 1904 vor dem Reichstag mit folgenden Worten:

 

"Unsere Divisionen sollen für den Krieg strategische und taktische Operations- und Gefechtseinheiten sein, die imstande sind, selbständig zu operieren und zu schlagen. Sie müssen zu diesem Zweck aus allen Waffen bestehen und müssen diese Waffen schon im Frieden besitzen".

http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt_k11_bsb00002811_00105.html

 

Eine Division zählte im Kriegsfall 12 Infanterie-Bataillone mit einer Sollstärke von je 1000 Mann und 12 Batterien Feldartillerie zu je 6 Geschützen sowie 10 Eskadrons Kavallerie (sogenannte Hauptwaffen). Hinzu kamen sogenannte Hilfswaffen und eine materielle Ausrüstung. Eine kriegstaugliche Division aufzubauen kostete viel Geld.

 

2.2

Auf die Zahl der Divisionen als Kampfeinheiten kam es im Krieg an. Wie stand es um die Divisionen im deutschen Heer?

 

- 4 -

 

  • In den Jahren vor Kriegsausbruch 1914 wurde keine ausreichende Zahl an Divisionen für einen künftigen Krieg bereitgestellt. Dies führte zu einer zahlenmäßigen Unterlegenheit an Kampf-formationen im Westen gegenüber Frankreich und dem britischen Expeditionskorps, das sechs Divisionen stark war und mit dessen Einsatz auf Seiten Frankreichs der deutsche Generalstabchef v. Schlieffen und sein Amtsnachfolger v. Moltke rechneten, sowie der belgischen Armee.

 

  • Die zahlenmäßige Unterlegenheit an Divisionen im Westen nahm der erwähnte preußische Kriegsminister v. Einem (1903 - 1909) als gegeben hin. Die Finanzkraft des Reiches, so die Argumentation v. Einems, sei beschränkt. Daher beschränkte er die Forderungen, die er für das Heer an den Gesetzgeber stellte. Einen Versuch, durch die Darlegung der militärischen Lage des Reiches die politischen Institutionen zum Ausbau des Heeres zu veranlassen, unternahm Kriegsminister v. Einem nicht. Er war der Meinung, die zahlenmäßige Unterlegenheit verhindere einen deutschen Erfolg nicht.

 

  • Bei der Infanterie standen seit dem 1.4.1897 Unter-Einheiten, aus denen man Divisionen zusammen-setzen konnte, zur Verfügung. Dazu bedurfte es lediglich organisatorischer Maßnahmen. Ob man dies tun sollte, darüber gab es bis 1914 Diskussionen zwischen Kriegeministerium  und Generalstab. Wurden Divisionen auf diese Weise neu gebildet, so mußten sie eine Ausstattung erhalten. Es waren Artillerie- und Kavallerieeinheiten, Pioniere und Train neu aufzustellen, und es war eine materielle Ausrüstung bereitzustellen. Dies konnte im Frieden oder durch eine Planung für den Kriegsfall geschehen. Die Kosten dafür aufzubringen hielt Kriegsminister v. Einem für ausgeschlossen. Sein Amtsnachfolger v. Heeringen beschränkte sich 1912 auf zwei neue Divisionen. Ihre Errichtung war zuvor erst im Krieg vorgesehen gewesen.

 

- 6 -

 

  • Zum Jahresbeginn 1913 hätten die politischen Gegebenheiten es erlaubt, kurzfristig zwei oder drei Divisionen aus bestehenden Unter-Einheiten aufzustellen und ihnen die notwendige Ausstattung zu geben. Geldmittel konnten verfügbar gemacht werden. Die preußischen Kriegsminister v. Heeringen (1909 – 1913) und sein Amts-nachfolger v. Falkenhayn (1913 – 1915) lehnten die Aufstellung aber ab. Sie unterließen Maßnahmen, die Kriegsstärke des Heeres zu erhöhen, obwohl diese möglich waren.

Generalstabchef v. Moltke wäre über jede einzelne neue Division glücklich gewesen.

 

Die ungenügende Zahl an Divisionen war die Hauptursache der Niederlage von 1914.

 

3.  Volle Ausnutzung der allgemeinen Wehrpflicht?

 

Unzureichend war die Zahl der Wehrpflichtigen, um die das Heer in den Jahren 1899 bis 1911 vermehrt wurde.

 

Es bestanden Lücken in der Heeresorganisation, die zu schließen waren, und es gab neue militärische und technische Entwicklungen, denen Rechnung zu tragen war. Ansonsten drohte das Heer zu veralten, und das konnte sehr schnell gehen. Es war notwendig, die Zahl der Techniker, der Offiziere, der Unteroffiziere und der Wehrpflichtigen jährlich fort-laufend zu steigern. Tatsächlich wurde der Bedarf nur in geringem Umfang gedeckt. Erforderlich wäre bei den Wehrpflichtigen eine durchschnittliche jährliche Steigerung um mindestens 5000 Rekruten gewesen. Konnte eine solche Zahl aufgebracht werden?

 

Der Staat war berechtigt, alle jungen Männer zum Wehrdienst heranzuziehen (allgemeine Wehrpflicht, Artikel 57 der Reichsverfassung 1871). Nur etwa die Hälfte wurde tatsächlich einberufen.

 

Zusätzliche Wehrpflichtige zur Bedarfsdeckung waren möglich.

 

Es geht hier nicht darum, ob die Wehrpflicht vollständig durchgeführt werden sollte. Wenn diese Frage in den letzten Vorkriegsjahren gleichwohl in der Öffentlichkeit hochkochte, so hat dies seine Ursache in einem Nachholbedarf, der in mehr als zehn Jahren aufgelaufen war.  Die personellen Lücken in der Heeresorganisation waren in dramatischer Weise angestiegen. Sie konnten nur durch drastische Maßnahmen abgemildert werden. Einen Ausdruck fand dies bereits im Heeresgesetz 1912, das für die nächsten vier Jahre eine Steigerung um mehr als 29000 Wehrpflichtige vorsah. In den Jahren 1913 und 1914 sollten jährlich im Herbst zusätzlich weitere 63000 Wehrpflichtige zum Heer eingezogen werden.

 

Militärisch wie politisch sinnvoller wäre es gewesen, jährliche maßvolle Erhöhungen der Friedensstärke des Heeres vorzunehmen. Auch volkswirtschaftlich wäre dies zweckmäßiger gewesen. Dannhätten 1914 einige zehntausend ausgebildete Reservisten mehr zur Verfügung gestanden - ohne volle Ausnutzung der allgemeinen Wehrpflicht und ohne das Heeresgesetz 1913. Bei rechtzeitigen angemessenen Heeres-verstärkungen (zum Beispiel strich der Reichstag dem preußischen Kriegsminister zum 1.10.1899 aus der für die nächsten vier Jahre beantragten Verstärkung 7000 Mann) war eine tatsächliche Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht erforderlich. Der Mangel an ausgebildeten Reservisten 1914 war eine Folge nicht rechtzeitiger Verstärkungen.

 

Zu widersprechen ist Ausführungen des Reichsarchivs, die sich in der Einführung zu seinem Werk

 

"Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft

Erster Band

Die militärische, wirtschaftliche und finanzielle Rüstung Deutschlands von der Reichsgründung bis zum Ausbruch des Weltkrieges".

 

finden. Dort heißt es:

 

- 7 -

 

"Zum Gelingen des deutschen Kriegsplanes bedurfte es eines Kriegsinstruments, das nicht nur ... gegenüber den voraussichtlichen Gegnern eine Überlegenheit an Schlagkraft besaß, sondern auch durch volle Ausnutzung der allgemeinen Wehrpflicht an Zahl den voraus-sichtlichen Gegnern zum mindesten nicht unterlegen war."

 

Das ist so nicht richtig. Die volle Ausnutzung der allgemeinen Wehrpflicht führte  zu keinem zahlenmäßigen Gleichstand mit dem Gegner, weder im Westen noch im Osten. Dazu bedurfte es neuer Divisionen, und das war eine Frage der Heeresorganisation. Es kam darauf an, wofür man die Wehrpflichtigen verwendete. Eine Erhöhung der Friedensstärke der Einheiten, wie sie mit dem Heeresgesetz 1913 durchgeführt wurde,  hatte keinen Einfluss auf die Kriegsstärke des Heeres. Umgekehrt gilt: um eine ausreichende Zahl an Divisionen für den Krieg bereit zu stellen, bedurfte es keiner vollen Ausnutzung der allgemeinen Wehrpflicht. Es ging  um die Milderung der Unterlegenheit an Divisionen und nicht um die Herstellung einer Überlegenheit. Ein zahlenmäßiger Gleichstand  ließ sich bei dem zu erwartenden Zweifrontenkrieg selbst für den Westen nicht erreichen. Das ergibt sich aus dem gesamten Inhalt des Werkes des Reichsarchivs.

 

Die vom Generalstab losgetretene Diskussion um die allgemeine Wehrpflicht in der letzten Vorkriegszeit ist nicht nachvollziehbar. Was das Heer vorrangig brauchte, war eine Erhöhung seiner Kriegsstärke durch neue Divisionen. Konkrete Vorschläge hierfür wären hilfreich gewesen.

 

4. Unzureichende materielle Ausstattung

 

Unzureichend war die Ausstattung des Heeres mit materiellen Streitmitteln, allem voran die Ausstattung mit Munition. Schon seit 1909 war bekannt, dass es im Kriegsfalle bei der Feld-artillerie zu einem Munitionsmangel kommen werde. Die deutsche Rüstungsindustrie krankte an einer Strukturschwäche: die Produktionskapazitäten für Munition waren unzureichend. Ob sie sich in dem erforderlichen Maße hätten steigern lassen, solange der Ausbau der Schlachtflotte andauerte, ist fraglich.

 

Die letzten 20 Jahre vor Kriegsausbruch 1914 sahen eine sprunghafte Entwicklung der Wehrtechnik. Man denke an die Nachrichten- oder Fernmeldetechnik, an Zeppeline und Flugzeuge, an Kraftfahrzeuge, an Maschinengewehre, an die Umrüstung der Feldartillerie auf Rohrrücklaufgeschütze, an die leichten Feldhaubitzen, die einen Teil der Feldkanonen ablösen sollten, -  um die wesentlichsten Stichworte zu nennen.

 

Der Geldbedarf für Investitionen verdreifachte oder vervierfachte sich innerhalb von wenigen Jahren. Das erforderte eine grundlegende Neugestaltung der Staatsfinanzen, sowohl von der Einnahmen- als auch von der Ausgabenseite her. Dazu waren die Regierungen der Bundesstaaten und ihre Parlamente nicht bereit. Sie erkannten das Problem nicht. Anstatt die Investitionen zu steigern, wurden sie in den Jahren 1909 mit 1911 in extremer Weise heruntergefahren, um den Staatshaushalt zu sanieren. Bereits in den Jahren zuvor waren die Investitionen unzureichend gewesen.

 

Es kam beim Heer zu einem Investitionsstau in Höhe von mehreren hundert Millionen Mark. Erst mit dem Heeresgesetz 1913 wurde damit begonnen, diesen abzubauen. Der Nachtrag zum Reichshaushaltsetat 1913 im Reichsgesetzblatt 1913 zeigt bei den einmaligen Ausgaben auf den Seiten 502/503 folgendes Bild:

 

- 8 -

 

                                                                                                         Mark

                  Summe der einmaligen Ausgaben                            479 876 751

                  abzusetzen sind davon

                  Festungen                                                                  70 000 000

                  Kaiserliche Marine                                                        3 000 000

                  verbleiben                                                                 406 876 751

 

Dieser Betrag ist höher als die Summe dessen, was in den Jahren 1908 mit 1911 an einmaligen Ausgaben (ohne Festungen) ausgewiesen wurde. Das Deutsche Reich setzte sich durch seine verfehlte Rüstungspolitik dem Vorwurf aus, einen Weltkrieg vorbereitet zu haben.

 

Zu Recht hatte der Abgeordnete Capar Haeusler (Wahlkreis Unterfranken) am 9. April 1913 vor dem Reichstag von einer "ganz bedenklichen Rückständigkeit (unserer Armee) in technischer Hinsicht".

 

Reichstagsprotokolle 13. Legislatur-Periode, 1912/14,7

http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt_k13_bsb00003385_00148.html

 

gesprochen. Die Bedeutung der Flieger für die Feindaufklärung wurde von Haeusler erkannt, vom preußischen Kriegs-minister nicht. Zutreffend war auch der Hinweis auf die Schwierigkeiten bei den Maschinengewehren gewesen. Um den Rückstand gegenüber den Nachbarstaaten aufzuholen, wude die Anzahl der Kompanien zum 1.10.1913 verdoppelt. Der Beschluss hierzu wurde im Jahr 1912 gefasst.

 

Schlussfolgerung:

 

Das Deutsche Reich hatte sich bei seinem Heer im Frieden zu Tode gegeizt.

 

 

- 5 -

 

 

 

 

 

 

 

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