Feststellung des Heeres-Personalbestands
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Gesetzliche Grundlage
Artikel 60 der Reichsverfassung 1871 bestimmte:
„Die Friedenspräsenzstärke des Deutschen Heeres wird bis zum 31. Dezember 1871 auf ein Prozent der Bevölkerung von 1867 normiert und wird pro rata derselben von den einzelnen Bundesstaaten gestellt. Für die spätere Zeit wird die Friedenspräsenzstärke des Heeres im Wege der Reichsgesetzgebung festgestellt.“
Was „im Wege der Reichsgesetzgebung“ zu bedeuten hatte, darüber bestand Streit zwischen der vollziehenden Gewalt - hier: der Militärverwaltung – und der gesetzgebenden Gewalt – hier: dem Reichstag.
Der Reichstag forderte von Anfang an eine Feststellung der Friedenspräsenz-stärke im Rahmen der alljährlichen Aufstellung des Reichshaushalts-Etats. Damit konnte er sich gegen die Militärverwaltung lange Zeit hindurch nicht durchsetzen. Diese bestand auf einem eigenen Heeresgesetz. Dessen zeitliche Begrenzung war ein Kompromiss. Er stellte den Reichstag nicht wirklich zufrieden.
Die Entwicklung verlief zugunsten des Reichstages und seines Budgetrechts. Sie ist nicht einheitlich. Dies wird In der nachfolgenden
Übersicht
deutlich gemacht. Zu unterscheiden ist zwischen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften (Wehrpflichtigen):
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Anzahl der Offiziere, Human-und Ross-Ärzte sowie Heeresbeamte
Anzahl wird vom Gesetzgeber alljährlich durch die Planstellen im Reichshaushalts-Etat als Höchstzahl bestimmt, § 4 letzter Absatz des Reichsmilitärgesetzes vom 2. Mai 1874.
In die Friedenspräsenzstärke des Heeres im Sinne von Artikel 60 Satz 2 der Reichsverfassung wird diese Anzahl nicht mit eingerechnet. Es ist ein Rückgriff auf eine Regelung, die bereits im Norddeutschen Bund galt (historische Verfassungs-Interpretation). Ebenfalls nicht mit eingerechnet in die Friedenspräsenzstärke werden die Einjährig-Freiwilligen.
Anzahl der Unteroffiziere
mit der Mannschaftsstärke zusammengerechnet
und im Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874 sowie in späteren Heeresgesetzen in jeweils einer Summe festgestellt.
Für die Friedenspräsenzstärke des Heeres im Sinne von Artikel 60 Satz 2 der Reichsverfassung sind seit 1893 nur noch die Mannschaften („Gemeine und Gefreite“) festzusetzen.
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Mannschaften (Wehrpflichtige)
Für die Zeit ab 1.1.1875 wird die Friedenspräsenzstärke im Sinne von Artikel 60 Satz 2 der Reichsverfassung in mehrjährigen Heeresgesetzen festgestellt, erstmals im Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874,
Anmerkungen des Aufsatzverfassers:
Das Budgetrecht des Gesetzgebers hat sich auch bei den Wehrpflichtigen durchgesetzt. Der Reichsverfassung, die eine gesetzliche Feststellung der Friedenspräsenzstärke des Heeres fordert, ist Genüge getan. Der alljährliche Reichshaushalts-Etat wird als Anlage zu einem Haushaltsgesetz verabschiedet und ist somit Gesetz im formellen Sinne. Eine Zusammenfassung des Reichshaushalts-Etats wird im Reichsgesetzblatt veröffentlicht.
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Anmerkungen des Aufsatzverfassers:
Der Gesetzgeber akzeptiert, dass die Heeresverwaltung die in einem bestimmten Zeitraum zu erreichende Friedenspräsenzstärke an Mannschaften als Zielsetzung in eigenen Heeresgesetzen festschreiben lässt. Die Verteilung auf die einzelnen Jahre entscheidet der Gesetzgeber. Im Reichstag wird formuliert, dass die nunmehrige Regelung seinem Budgetrecht in ausreichendem Maße Rechnung trägt.
Bewährt haben sich die Heeresgesetze mit ihren mehrjährigen Zielsetzungen nicht. In den Jahren 1887/88 hatte der Reichstag eine Verkürzung des damals beabsichtigten Siebenjahreszeitraumes auf drei Jahre gefordert und war damit am Widerstand der Reichsleitung gescheitert. Aus militärischer Sicht war dies ein Nachteil. Die Verkürzung wäre sachgerecht gewesen. Politisch gesehen war es ein Machtkampf, den die Reichsleitung besser nicht unternommen hätte.
Den Präsenzstand der Kontingente des Reichsheeres (Friedensstärke) sowie ihre Gliederung und Einteilung bestimmt nach Artikel 63 Absatz 4 der Reichsverfassung 1871 der Kaiser.